Der neuseeländische Offensivspieler Sarpreet Singh ist für eine Saison vom FC Bayern München an den SSV Jahn ausgeliehen. Hier will er machen, was er am liebsten tut: die Fans unterhalten. Dafür hat er auf seiner bisherigen Reise schon gelernt, sich an das intensive Spiel in der 2. Bundesliga anzupassen und mit Rückschlägen umzugehen. Ein Porträt.
Sarpreet Singh war nach dem Ende der vergangenen Saison für einige Wochen in der Heimat. In Auckland, der Hauptstadt im Norden Neuseelands mit knapp 1,5 Millionen Einwohnern. Zunächst musste er zwar zwei Wochen lang in Quarantäne, was es ihm aber wert war, um anschließend seine Freunde und seine Familie, seine Eltern, seine Schwester und seinen Bruder, sehen zu können. „Mir ist Familie sehr wichtig“, sagt der 22-Jährige. Zwar ist er es schon seit sechs Jahren gewohnt, für den Fußball getrennt von ihr zu sein, als er zu Wellington Phoenix wechselte. Seit zwei Jahren ist Singh nun in Deutschland. „Gerade deshalb bedeutet mir jede Zeit, die ich zu Hause verbringen kann, sehr viel. Unsere Familie ist sehr eng miteinander und hält immer zusammen. Das ist sehr wichtig für mich.“ Vor seinem Besuch diesen Sommer hatte er Freunde und Familie in der Heimat ein halbes Jahr lange nicht gesehen.
Über 18.000 Kilometer sind es von Bayern nach Auckland. Die Distanz zum Alltag hier zu haben, hat Singh spürbar gutgetan. Einfach mal weg von der Arbeit, weg vom Fußball. „Das hat mir geholfen, den Kopf freizubekommen“, sagt er. „Ich konnte die Zeit daheim nutzen, um in einer guten Verfassung zurückzukommen. Und es hat mir geholfen, um mit dem abzuschließen, was letzte Saison war“, sagt Singh und fügt hinzu: „Jetzt bin ich bereit für ein neues Kapitel.“ Und dieses neue Kapitel heißt für ihn: SSV Jahn Regensburg. Für eine Saison ist er vom FC Bayern an den SSV Jahn ausgeliehen.
„Ich hatte sehr gute Gespräche mit Christian Keller und Mersad Selimbegovic“, sagt Singh über die Gründe für seinen Wechsel. Er sieht den Jahn als gute Möglichkeit, auf hohem Level zu spielen. Ihm war es dabei wichtig, in Deutschland zu bleiben, denn an den Fußball hier hat er in den letzten Jahren Schritt für Schritt gelernt, sich zu gewöhnen. „Ich habe vor meinem Wechsel nach Deutschland schon gehört, dass der Fußball hier sehr intensiv sein soll. Jetzt weiß ich es sicher“, sagt der Offensivspieler und lacht.
Singh liebt das "world game" Fußball
Zurück in Auckland. Hier hat fußballerisch für „Sardi“, wie ihn seine Freunde und Mitspieler nennen, alles begonnen. Nun ist in Neuseeland Rugby eigentlich die Sportart Nummer eins. „Aber dafür bin ich sicherlich etwas zu klein und schmächtig. Da wäre ich wohl mit ordentlich Schmerzen aus den Spielen gegangen“, sagt der 1,75 Meter große Singh und lacht. Sein Onkel und sein vier Jahre älterer Bruder haben bereits Fußball gespielt und deshalb hat auch er damit angefangen. Ihm hat es von Beginn an viel Spaß gemacht. Als das „World game“ bezeichnet er den Fußball: „Es ist unterhaltend und wird überall auf der Welt gespielt. Ich liebe dieses Spiel einfach.“ Die Viertelfinalteilnahme zuletzt bei den Olympischen Spielen, als gegen den Halbfinalisten Japan erst im Elfmeterschießen Schluss war, zeigt auch, dass sich der neuseeländische Fußball in die richtige Richtung bewegt, auch wenn er nach Singhs Einschätzung noch weit hinter dem Fußball in Deutschland ist.
Früher war Cristiano Ronaldo Singhs Idol, später schaute er vor allem Videos von Spielern, die seinem Spiel ähneln, von denen er versucht hat, sich Dinge abzuschauen und in sein Spiel zu integrieren. David Silva und Mesut Özil, zwei klassische Spielmacher nennt er hier als Beispiel. Technisch versiert war auch Singh immer und gehörte damit stets zu den besten Talenten. 16 Jahre alt war er, als er dann seine Heimat Auckland verließ und nach Wellington zog, in die Akademie der Wellington Phoenix, dem einzigen Profiteam Neuseelands, das in der australischen A-League an den Start geht.
Profidebüt mit 17
Zwei Tage vor seinem 18. Geburtstag war es schließlich soweit: Die Phoenix spielten auswärts bei Melbourne City. In der 67. Minute, es stand bereits 3:0 für Melbourne, wurde Singh eingewechselt. Bei der Erinnerung daran funkeln auch über vier Jahre später seine Augen noch. „Der Trainer hat mir gesagt: Jetzt kannst du spielen, geh rein und hab Spaß.“ Dieser Tag sei „unvergesslich“ für ihn, sagt er. Doch für Singh fühlte es sich weniger an, als hätte er viel erreicht. Vielmehr war sein Debüt Antrieb und Motivation für ihn: „Von da an habe ich versucht, immer weiter zu machen, ich hatte den Ehrgeiz, immer besser zu werden.“
Seinen dritten Einsatz hatte Singh für die erste Phoenix-Mannschaft übrigens beim Auswärtsspiel bei Perth Glory, im sogenannten „Distance Derby“, dem Spiel mit der größten Entfernung (5.300 Kilometer Luftlinie) und der längsten Anreise (knapp acht Stunden Flug) weltweit.
Singh nutzte die Möglichkeit, in jungen Jahren auf sich aufmerksam zu machen. 39 Spiele machte er für die Profis Wellingtons, erzielte dabei neun Tore und bereitete acht Treffer vor. Dann kam die U20-Weltmeisterschaft 2019 in Polen, bei der Singh wieder überzeugte und mit seinem Team im Achtelfinale erst im Elfmeterschießen ausschied. Singh überzeugte offenbar so sehr, dass der FC Bayern auf ihn aufmerksam wurde. Er war gerade mit Freunden in Australien im Urlaub, als ihn sein Berater anrief. „Es war verrückt, als er mir sagte, dass der FC Bayern angefragt hat“, erinnert sich der Offensivspieler. „Bayern München kennt jeder in der Welt. Da gab es keinen Grund, lange zu überlegen.“
Seite an Seite mit den Weltstars
In München war Singh zunächst für die zweite Mannschaft eingeplant, doch Trainer Niko Kovac zog ihn schon in der Vorbereitung zu den Profis hoch und nahm ihn mit auf die Amerika-Reise des Rekordmeisters. „Du schaust auf zu Spielern wie Manuel Neuer und Robert Lewandowski und plötzlich sitzt du mit ihnen in einer Kabine. Das ist einmalig“, sagt er über diese Erfahrung. Anfangs sei er noch sehr nervös gewesen, habe aber mit der Zeit gemerkt, dass er es auch nur mit ganz normalen Menschen zu tun hat.
Ein wichtiger Ansprechpartner für ihn war Serge Gnabry. „Er hat oft mit mir gesprochen, gefragt wie es mir geht, ob zu Hause alles in Ordnung ist. Bei ihm konnte ich mich auch immer melden, wenn ich etwas gebraucht habe“, so Singh. Er glaubt, dass Gnabry sich gut in ihn hineinfühlen konnte, weil er selbst im jungen Alter alleine in London beim FC Arsenal war und dort Höhen und Tiefen durchlebte.
Während der bei bei den Profis trainierte, spielte Singh vornehmlich in der zweiten Mannschaft in der 3. Liga. Zwei Einsätze hat er aber auch für die Profis bestritten, jeweils in den Heimspielen gegen Werder Bremen und den SC Freiburg in der Bundesliga. Am Ende der Saison stand der Triple-Gewinn mit der deutschen Meisterschaft sowie dem Gewinn des DFB-Pokals und der Champions League. Offiziell ist Singh damit auch Triple-Sieger. Ob er sich auch als solcher fühlt? Singh überlegt eine Weile. „Ich habe in der Bundesliga gespielt, saß im Pokal und in der Champions League auf der Bank. Ja, irgendwie fühle ich mich schon als Triple-Gewinner.“ Die Medaillen seien etwas, auf die er sicher auch nach seiner Karriere noch mit Stolz blicken werde. „Für mich war es schon etwas ganz Besonderes, Teil dieser Mannschaft zu sein“, sagt Singh, der sich mit der zweiten Mannschaft in dieser Saison auch noch die Drittliga-Meisterschaft holte.
Siegermentalität aufgeschnappt
Vier Titel in einer Saison. Diese Siegermentalität ist auch etwas, das Singh aus seinem ersten Bayern-Jahr mitgenommen hat. „Du lernst dort, wie gewinnen geht. Beim FC Bayern wird nichts anderes akzeptiert als zu gewinnen.“ Laut Singh beginnt das schon im Training. „Und wenn es nur die kleinsten Trainingsspiele sind: Wenn nicht gewonnen wird, sind die Spieler sehr verärgert. Das zeigt die Mentalität dieses Clubs. Das ist etwas, das ich sicher mitgenommen habe.“
Ein weiterer Punkt ist die Arbeitseinstellung der Bayern-Stars. „Ich habe gelernt, was Professionalität bedeutet. Die Spieler sind vor dem Training im Kraftraum, jeden Tag ist das Training wirklich intensiv. Sie wollen sich immer steigern und motivieren sich gegenseitig dazu, immer besser zu werden“, sagt Singh und nennt als Beispiel dafür Weltfußballer Robert Lewandowski. „Ich habe immer gesehen, dass er einer der Letzten war, die den Trainingsplatz verlassen haben. Er hat Elfmeter, Freistöße, Abschlüsse trainiert.“ Singh hat das fasziniert: „Wenn du der beste Stürmer der Welt bist, könnte man meinen, dass du das nicht mehr nötig hast. Aber Robert will sich immer verbessern. Das habe ich gelernt von solchen Spielern. Sie wollen immer besser werden, sind nie zufrieden und legen täglich eine große Arbeitsmoral und Mentalität an den Tag.“ Er versuche, das auch für sich anzunehmen und täglich an sich zu arbeiten, um das Maximum aus seiner Karriere herauszuholen.
Singh und der Umgang mit Rückschlägen
Zum Fußball gehören aber auch Niederlagen und Rückschläge. Das hat Singh am Ende der vergangenen Saison gespürt, als er mit dem FC Bayern II nur ein Jahr nach der Meisterschaft in die Regionalliga abgestiegen ist. „Es war ein komplett anderes Team als im Jahr zuvor, mit nicht weniger Talent, aber deutlich weniger Erfahrung, vielleicht noch nicht reif genug für den Männerfußball in der 3. Liga“, glaubt Singh. Wie er persönlich mit solchen Rückschlägen umgeht? „Ich hasse es zu verlieren“, betont er. „Ich spiele Fußball, um zu gewinnen und die Fans zu unterhalten. Aber ich weiß, dass Niederlagen Teil des Spiels sind. Ich sehe diese als Teil meiner Lernkurve, aus denen man Schlüsse für die Zukunft ziehen kann.
Als Teil seiner Lernkurve und Entwicklung sieht Singh auch die vergangene Hinrunde, als er an den 1. FC Nürnberg ausgeliehen war. Für ihn war es nach der erfolgreichen Drittliga-Saison der logische nächste Schritt. Aus verschiedenen Gründen hat es aber nicht hundertprozentig gefunkt zwischen Singh und seinem neuen Verein.. Nach einer halben Saison brach er die Zelte in Franken wieder ab und kehrte zur zweiten Mannschaft des FCB zurück. „In einer Karriere geht es nicht immer nur nach oben, du musst auch einmal Täler durchschreiten“, blickt Singh zurück. Da er den Ballbesitzfußball des FC Bayern gewohnt war, war die Umstellung auf Zweitligafußball zunächst nicht einfach für ihn, sagt er und fügt selbstkritisch hinzu: „Ich habe es nicht so gut geschafft, wie ich es hätte schaffen können.“ Er ist aber auch überzeugt: „Solche Phasen machen einen auf eine gewisse Art auch stärker.“
Teamgedanke im Fokus
So ist Singh davon überzeugt, dass ihm diese Erfahrung nun auch in Regensburg helfen wird. Hier, so sagt er mit einem Lächeln, fühle er sich von Anfang an sehr wohl. „Es hilft, wenn du dich in einem Team willkommen fühlst, wenn dich der Trainer unterstützt und dir Vertrauen schenkt. Für mich ist es wichtig, dass ich mich wohlfühle in der Stadt und im Team, um meine beste Leistung auf den Platz bringen zu können.“ Und ihm gefällt, dass beim Jahn der Teamgedanke großgeschrieben wird: „Ich habe hier schnell gemerkt, dass das Team immer vor allem anderen steht. Es ist beeindruckend, wie hier nur Kleinigkeiten anders sind als die Erfahrungen, die ich bisher gemacht habe. Das genieße ich wirklich.“
Nach der einjährigen Leihe zum SSV Jahn will Singh sagen können, „dass ich ein gutes Jahr hatte, viel gelernt habe und auf einem höheren Level bin als jetzt.“ Mit einem Tor und einer Vorlage sowie den ersten sechs Punkten auf dem Konto kann er nach den ersten beiden Spielen für die Jahnelf jedenfalls schon einmal zufrieden sein. „Ich bin auch soweit zufrieden mit dem Start, kann aber noch besser spielen. Aber das Wichtigste ist, dass wir als Team gewinnen.“ Neben dem Platz will sich der 22-Jährige auch in seinem Deutsch verbessern in dem Jahr.
Singh ist auch neben dem Fußball sportbegeistert. Wenn er in der Heimat ist, spielt er gerne Tennis oder Basketball mit den Freunden. Ein weiteres Faible? „Ich kann wirklich lange schlafen und bin oft ein bisschen müde“, sagt Singh mit einem Lächeln. Teamkollegen können das bestätigen. Inzwischen fühlt sich Singh, der musikalisch gerne Hip-Hop und RnB hört, auch in Bayern wohl, kürzlich hat er erstmals eine Lederhose getragen. „Ich fand, dass ich gut aussehe darin“, sagt der Neuseeländer und lacht. Auch den Kontakt in die Heimat pflegt Singh. Mit Freunden spielt er manchmal online FIFA an der Konsole. „Ganz okay“, sei er darin, sagt er. Und ganz wichtig sind ihm auch die Facetime-Anrufe mit seiner Familie. Dass ihm diese Kraft geben kann, hat dieser Sommer gezeigt.