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"Jahnfan bleibe ich ein Leben lang"

Christian Keller im ausführlichen Abschieds-Interview
· Jahnschmiede ·

Achteinhalb Jahre sind ein sehr langer und doch ein sehr kurzer Zeitraum. Sie sind sehr lange, wenn man sie auf das oft so schnelllebige Fußballgeschäft bezieht. Sie sind aber auch ein ziemlich kurzer Zeitraum, wenn man einen Verein nachhaltig nach vorne bringen will. Letzteres ist beim SSV Jahn Regensburg in den vergangenen Jahren zweifelsfrei passiert und das hat nicht nur, aber zu sehr großen Teilen mit einem Namen zu tun: Christian Keller. Als Geschäftsführer Profifußball hat er die positive Entwicklung des SSV Jahn in den vergangenen Jahren maßgeblich vorangetrieben. Er hat aus einem einstigen Chaosklub einen aktuell stabilen Zweitligisten gemacht, der sich sowohl auf als auch neben dem Platz nicht zu verstecken braucht – Stichwort infrastrukturelle Weiterentwicklung.

 

Nun hat Christian Keller entschieden, den Jahn zu verlassen, weil seine persönlichen Ziele erreicht sind und er den Weg freimachen möchte, damit sich der Verein in der Spitze breiter aufstellen kann. Im ausführlichen Interview mit der Jahnzeit blickt Keller auf die achteinhalb Jahre beim SSV Jahn zurück, auf Höhen wie Tiefen. Er gibt Einblicke in die Entwicklung des Vereins und die Haltung, die den Jahn über all die Jahre starkgemacht hat.

 

Christian, was glaubst du, wirst du an deinen ersten freien Tagen nach den Jahren beim SSV Jahn eher fühlen: Freude oder Leere?

Christian Keller: Ich weiß noch gar nicht genau, wann diese Tage kommen. Ich werde im November schon noch viel auf der Geschäftsstelle sein, um die Übergabe ordentlich zu erledigen und um Medientermine wahrzunehmen. Aber wenn dann die ersten richtig freien Wochen kommen? Das weiß ich ehrlich gesagt noch nicht. Mein Umfeld sagt mir, dass ich dann erst einmal nicht wissen werde, was ich machen soll. Das würde dann Leere bedeuten. Aber ich sage denen immer: Ich kriege das schon hin (lacht).

 

Du hast die Übergabe angesprochen: Wie wird diese genau ablaufen?

Keller: Ich werde im November nicht mehr jeden Tag da sein. Aber wenn es notwendig ist, dann bin ich da, weil es mir wirklich ein Herzensanliegen ist, dass es gut übergeben wird und dann positiv weiterläuft. Wie kann man sich das vorstellen? Speziell bei der Übergabe an Philipp Hausner als neuen kaufmännischen Geschäftsführer wird es auf jeden Fall mit jedem kaufmännisch-administrativen Abteilungsleiter einen Übergabetermin geben, in dem Philipp in alle aktuell operativ bearbeiteten Themen wie auch die strategisch in Bearbeitung stehenden Themen eingeführt wird. Zudem werde ich ihn sicher noch in alle Jahn Geheimnisse einweihen. Er weiß sehr vieles als Abteilungsleiter, aber nicht alles.

 

Und wie sieht es im sportlichen Bereich aus?

Keller: Bei Roger Stilz als neuem sportlichem Geschäftsführer wird es von den Prozessschritten her ähnlich sein. Auch hier wird es im Lauf des Novembers eine Übergabe zusammen mit den Abteilungsleitern geben, das heißt zum einen mit Mersad Selimbegovic als Chef-Trainer der Profimannschaft und zum anderen mit Christian Martin als Leiter der Jahnschmiede. Ziel ist, dass Roger Stilz ab 1. Dezember gut vorbereitet in seine neue Aufgabe starten kann.

 

Du hast bekanntermaßen in deiner Zeit beim SSV Jahn alles investiert und dich voll und ganz der Aufgabe hier gewidmet. Gibt es etwas, das du rückblickend in diesen Jahren vermisst hast?

Keller: Ich muss sagen, und das kommt wirklich aus ganzem Herzen: Ich bin hier am 1. Juni 2013 reingegangen und es hat mir Freude und Begeisterung bereitet. Das hat für jeden Tag seit damals gegolten. Auch an Tagen, an denen von außen der eine oder andere vielleicht gedacht hat, das kann ihm heute keinen Spaß machen. Aber es war nicht so. Inhaltlich hat mich diese Aufgabe immer erfüllt und zwar vom ersten bis zum letzten Tag. Ich habe hier immer tolle Menschen um mich herum gehabt, mit denen es große Freude gemacht hat zu arbeiten.

 

Verordnest du dir selbst nun erst einmal eine fußballfreie Zeit oder wirst du an den Wochenenden doch wieder vor dem Fernseher sitzen und Fußball schauen?

Keller: Ich werde mir auf jeden Fall die Jahn Spiele anschauen. Das erste Spiel nach meiner Zeit, also das Heimspiel gegen Hansa Rostock, werde ich mir auch noch live im Stadion anschauen, weil mir mitgeteilt wurde, dass ich mich nicht einfach durch die Hintertür verabschieden kann, sondern es in einem offiziellen Rahmen zumindest eine kleine Verabschiedung geben soll (lacht). Das wollte ich eigentlich nicht, ich verstehe aber natürlich, dass der Jahn das machen möchte. Danach werde ich mir die Spiele des Jahn schon am Fernseher anschauen, darüber hinaus werde ich aber erst einmal relativ wenig Fußball gucken. Da freue ich mich tatsächlich auch darauf.

 

Freust du dich auch darauf, Fußball einmal wieder anzuschauen, ohne den Job im Kopf zu haben, ohne einen Spieler zu beobachten, ohne Verantwortung zu tragen?

Keller: Darauf freue ich mich in Bezug auf Fußball tatsächlich am meisten, mir einfach mal ein Jahn Spiel anzuschauen, ohne die Verantwortung für alles zu tragen, was hier passiert. Ich habe diese zwar sehr gerne getragen, aber ich weiß auch, dass ich mir das Spiel befreiter anschauen werde, wenn ich sie nicht mehr trage. Du nimmst in dieser Funktion Gedanken immer mit und es hört eigentlich nie auf, dass du dir gewisse Gedanken machst. Aber jetzt hört es dann auf.

 

Du hast auch schon gesagt, dass du dich darauf freust, wieder einmal ein Spiel in der Fankurve anzuschauen. Wo wird das sein? Auf der Hans Jakob Tribüne dürfte es zumindest vorerst schwer werden…

Keller: Vielleicht mit etwas Abstand dann schon. Ich werde mir aber sicher einmal eines der Auswärtsspiele des Jahn im Gästefanblock anschauen. Das habe ich fest vor.

 

Wird man dich in Zukunft öfter mal wieder im Jahnstadion Regensburg sehen oder bleibst du erst einmal bewusst weg?

Keller: Nach dem Heimspiel gegen Rostock wird man mich hier erst mal eine Zeit lang nicht mehr sehen. Nicht, weil ich nicht gerne kommen würde, sondern weil ich es als richtig und wichtig empfinde, dass dann nicht mehr mein Kopf und daran gekoppelte Gesprächsthemen hier weiter omnipräsent sind. Wenn ein bisschen Zeit vorbei ist, die neuen Rädchen gut ineinandergreifen und ich wirklich nur noch Gast bin, komme ich natürlich sehr gerne wieder.

 

Blicken wir grundsätzlich auf deinen Abschied vom Jahn. Warum siehst du jetzt den richtigen Zeitpunkt, den Verein zu verlassen?

Keller: Aus einer jahnbezogenen Sicht finde ich es richtig, die Verantwortung nun auf mehr als zwei Schultern zu legen, um dem großen Wachstum, das wir seit Sommer 2013 hingelegt haben, gerecht zu werden. Wir sind enorm gewachsen von einem Gesamthaushalt von knapp über drei Mio. Euro auf einen Umsatz zu Vor-Pandemiezeiten von 24,5 Mio. Euro. Das heißt, der Jahn ist rein monetär bemessen knapp achtmal größer als er es einmal war. Das bringt neue Aufgaben mit sich. Um diesen vollumfänglich gerecht zu werden, ist es strukturell richtig, diese Aufgaben auf zwei Köpfe zu verlagern. Die persönliche Begründung ist, dass die Ziele, die ich mir für die Entwicklung des Jahn bei meinem Amtsantritt gesetzt habe, erfüllt sind. Das heißt nicht, dass sich der Jahn nicht mehr entwickeln kann. Ganz im Gegenteil: Der Jahn hat noch viele Entwicklungsschritte vor sich, wenn er sein Standortpotenzial in Gänze abschöpfen möchte. Das sind tolle Herausforderungen, die dann meine Nachfolger federführend mit den Mitarbeitern gemeinsam angehen dürfen.

 

In einem Interview vor ein paar Jahren hast du einmal gesagt, du hättest noch kein gutes Gefühl dabei, wenn du den Jahn verlassen würdest. Warum ist dieses Gefühl jetzt gut?

Keller: Das Gefühl ist insgesamt wirklich sehr gut. Es ist rational betrachtet richtig, jetzt zu gehen. Natürlich tut mir der Abschied andererseits aber auch sehr weh, weil der Jahn über 8,5 Jahre mein zentraler Lebensinhalt war. Das kann ich nicht einfach so von heute auf morgen ablegen. Warum ist jetzt ein guter Zeitpunkt? Zum einen ist der Jahn schon seit ein paar Jahren Altlasten-frei. Er hat in den vergangenen Jahren aber auch Substanz aufgebaut – und das trotz Pandemie. Das heißt, wir haben uns etwas Speck angefuttert. Wenn, und das wird im Fußball so sein, wieder einmal eine sportliche Delle kommen sollte, dann wäre der Jahn in der Lage, darauf wirtschaftlich reagieren zu können. In der Kapitalgesellschaft haben wir eine Eigenkapitalquote von fast 80 Prozent, was wirklich immens ist. Wir haben gar keine Verbindlichkeiten gegenüber Banken oder sonstigen Kreditgebern mehr. Neben der wirtschaftlichen Substanz haben wir eine hochwertige Infrastruktur geschaffen. Das Trainingsgelände für die Profis erfüllt alle zeigemäßen Anforderungen. Darüber hinaus haben wir eine sehr homogene, kompetente Belegschaft auf allen Ebenen, wobei sich die Größe der Belegschaft, seit ich hier bin, nahezu vervierfacht hat. Trotz des Wachstums harmonieren die Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle exzellent miteinander. Das gilt auch für das Trainerteam, für die Mannschaft und den Nachwuchs. Deshalb fühlt es sich auch mit Blick auf die personelle Perspektive sehr rund an, jetzt zu gehen. Ein weiterer wesentlicher Punkt: Ich habe ein gutes Gefühl in Bezug auf die gesellschaftliche Verankerung des Jahn, weil auch da die Pandemie etwas gezeigt hat: Eine Solidarität mit und ein Wohlwollen gegenüber dem Jahn, das vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Es ist ein breites Fundament vorhanden, exemplarisch möchte ich hier unsere rund 400 Sponsoren und fast 130 Vereinspartner erwähnen. Die gesellschaftliche Verankerung ist vorhanden, sie gilt es aber natürlich weiter zu hegen und zu pflegen, weil sie ansonsten auch ganz schnell wieder abnehmen wird. So sind alle Sphären, die aus meiner Sicht relevant sind, im Moment stabil und exzellent aufgestellt. Deshalb ist mein Abschied jetzt genau richtig für den SSV Jahn.

 

Wäre der Jahn nicht so gut durch die Pandemie gekommen: Würdest du dich jetzt auch verabschieden?

Keller: Wenn wir nicht gut durch die bisherige Pandemie gekommen und in Gänze so gut dastehen würden, dann würde ich mich jetzt nicht verabschieden. Ich habe den Zeitpunkt für meinen Abschied bewusst gewählt, weil ich Ende 2019 den Plan hatte, dass der Jahn nun im Oktober 2021 in allen Bereichen sehr stabil dastehen soll. Wäre dieser Plan nicht aufgegangen, dann wäre ich sicher nicht in der größten Krise der Jahn Historie gegangen. Der Jahn hat schon oft Krisen erlebt, er hatte aber noch nie eine Krise, in der er im ersten Lockdown phasenweise keine Geschäftsgrundlage mehr hatte oder diese durch den anschließenden Zuschauerausschluss massiv beeinträchtigt war.

 

Du sprichst Krisen an. Davon gab es auch in deiner Zeit welche, nehmen wir den Abstieg 2015 oder nun eben die Corona-Pandemie. Was hat den Jahn aus deiner Sicht in schwierigen Momenten immer ausgezeichnet?

Keller: Im Idealfall gibt es wichtige Eckpfeiler unabhängig von guten Zeiten oder Krisenzeiten, sodass das, was uns in Krisenzeiten ausgezeichnet hat, auch das ist, was uns in guten Zeiten trägt. Unser erster und wichtigster Eckpfeiler ist eine ganz klare Werteorientierung, eine ganz klare Fokussierung allen Denkens und Handelns auf unsere Markenidentität, also auf unsere Vision und die dazugehörigen Markenwerte. Das schafft im Innenverhältnis Zusammengehörigkeit, wenn alle wissen, wo wir hinwollen und wie wir sein wollen. Es ist auch nach außen wesentlich, denn auf unsere Markenstrahlkraft sind wir angewiesen, um die Menschen bewegen und binden zu können. Neben der Werteorientierung ist die Konzeptorientierung äußerst wichtig. Mache nicht einfach irgendetwas gerade so, weil es opportun erscheint, sondern agiere – gerade in Krisen – auf Basis eines klaren Plans. Das trägt dazu bei, dass jeder weiß, was zu tun ist. Ein Konzept gibt Halt. Der dritte wesentliche Aspekt: Anspruchsgruppenorientierung. Versuche, eine Balance zwischen den Anspruchsgruppen zu finden. Habe immer ein Ohr an deinen externen Anspruchsgruppen, um zu wissen, was diese bewegt. Das heißt nicht, dass man diese Erwartungen auch komplett erfüllt, das geht in den wenigsten Fällen. Denn ein Fußballclub hat sehr viele unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichsten Interessen. Da kann es immer nur darum gehen, eine Balance zu finden. Der vierte Aspekt, der ist am Schluss essentiell, um die drei Punkte zuvor überhaupt umsetzen zu können: Gutes Personal, das bereit und in der Lage ist, den Weg mitzugehen. Jede Personalentscheidung gehört zu den wichtigsten Entscheidungen, die wir überhaupt treffen – egal ob wir einen neuen Greenkeeper oder einen neuen Chef-Trainer einstellen. Jede Personalentscheidung beeinflusst, ob wir im jeweiligen Bereich gut, im Idealfall sogar sehr gut sind, oder ob wir nur einen „Daily-Business-Job“ machen und dann vielleicht Schritt für Schritt auch weniger wettbewerbsfähig werden. Am Schluss gibt die Visitenkarte Jahn Regensburg nicht der Geschäftsführer, sondern jeder einzelne Mitarbeiter mit seinem täglichen Tun ab.

 

Das komplette Interview mit Christian Keller lest Ihr in der aktuellen Ausgabe der Jahnzeit. Die November-Ausgabe der Jahnzeit ist wie gewohnt entstanden in Zusammenarbeit mit den Partnern Valentum Kommunikation GmbH (Layout), die printzen (Druck) & iHeft (multimediale Ausgabe). Das Corporate Design stammt von seitenwind. Die neue Jahnzeit in gedruckter Form ist auch im Jahn Fanshop am Jahnstadion Regensburg sowie im Jahn Onlineshop erhältlich.

Foto: Janne
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