In der Dezember-Ausgabe der "Jahnzeit" stand das Trainerteam der Jahnelf hinter Chef-Trainer Mersad Selimbegovic Rede und Antwort. Die ausführlichen Interviews erscheinen nun auch auf der Jahn Homepage. In Teil fünf der Serie geht es um Torwarttrainer Ronny Zeiß.
Ronny, was zeichnet aus deiner Sicht einen guten Torhüter aus?
Ronny Zeiß: In erster Linie hält er Bälle, die auf das Tor kommen. Er trifft gute Entscheidungen, das ist das, was in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Er muss mental stabil sein, muss mit Fehlern genauso umgehen können wie mit Lob. Dazu kommt, dass er in allen Facetten des Torwartspiels eine gute Qualität hat und am besten noch eine richtige Waffe besitzt.
Und was zeichnet deiner Meinung nach einen guten Torwarttrainer aus?
Zeiß: Ich weiß nicht, ob ich ein guter Torwarttrainer bin. Aber was mir sehr wichtig ist: Ich versuche, eine gute Kommunikation mit den Jungs zu pflegen. Und zwar mit allen Torhütern im Kader, das heißt, ich unterscheide im Training oder im Umgang nicht, ob der Torhüter Nummer eins, zwei oder drei ist, sondern es sind alle gleichberechtigt. Wenn man es aufs Training runterbricht, versuche ich, sehr vielfältig und komplex zu trainieren. Ich plane das Training immer anhand von Spielsituationen. Nahezujede Übung, die wir machen, sollte einen Bezug zum Spiel haben. Bei mir finden Sachen wie über Hürden springen oder Koordinationsleiter nicht statt, sondern mein Training ist sehr spielnah.
Du hast einmal gesagt, du arbeitest auch mit viel „Überfrachtung“…
Zeiß: Genau. Ich versuche, dass ich mit vielen Aktionen eine gewisse Überfrachtung erreiche. Heißt, dass ich den Torhütern sehr viel Input gebe, im Wissen, dass sie nicht alles aufnehmen können, aber möglichst viel davon mitnehmen sollen. Dazu gehört auch, dass wir permanent die Übungen wechseln, dass alleine bei einem Seitenwechsel die Übung ganz anders sein kann. Auch wieder mit Blick aufs Spiel. Du hast generell im Fußball die eine Situation nicht noch einmal, sondern jede Situation ist anders. Das Ziel ist, sie so zu überfrachten, dass sie dann am Ende dennoch eine gute Entscheidung treffen können, ohne instabil zu werden. Deshalb gibt es wenige, aber klare Prinzipien, an denen ich das Entscheidungs- und Handlungsverhalten festmache.
Wie würdest du die aktuellen drei Jahn Torhüter charakterisieren – sowohl als Torhüter als auch als Typen neben dem Platz?
Zeiß: Eine Fußballmannschaft hat generell sehr unterschiedliche Charaktere, das ist auch bei uns im Torhüterteam so. Ich habe wahrscheinlich das älteste Torhüterteam in der Liga. Alle drei sind sehr unterschiedlich. Alex ist ein sehr mutiger Torhüter, der sich überall reinhaut und der auch klare Ziele verfolgt. Manchmal ist er auch einen Tick weit zu gierig. Sein Thema ist es, die richtige Balance zu finden. Es macht unheimlich viel Spaß mit ihm zu arbeiten, weil er Elemente, die wir versuchen umzusetzen, sehr gut annimmt und auch in seinem Alter den Willen zeigt, sich weiterzuentwickeln.
Thorsten Kirschbaum?
Zeiß: Kirsche kenne ich schon sehr lange, wir sind auch privat befreundet. Das gab aber nicht den Ausschlag, ihn hierher zu holen. Sondern ich hatte ein gutes Gefühl, dass er hier gut reinpasst, weil er eine gewisse Leichtigkeit mitbringt. Er ist in puncto Ehrgeiz nicht so extrem wie Alex, sondern kommt über eine etwas andere Art Fußball zu spielen. Er strahlt eine gute Ruhe aus. Mit seiner sehr positiven Art passt er perfekt in dieses Torwarttrio.
Und Kevin Kunz?
Zeiß: Kevin ist ein extrem loyaler Typ. Ich hoffe, dass ich ihn so behandle, dass er sich wohlfühlt, auch wenn er aktuell die Nummer drei ist. Er hat in der Qualität zugelegt. Auf ihn ist immer hundertprozentig Verlass, er ist ein sehr positiver Typ. Ich bin sehr zufrieden mit allen drei Torhütern, es macht sehr viel Spaß und wir kommen auch mit jedem einzelnen Schritt für Schritt vorwärts. Alle drei verstehen sich auch privat ganz gut. Die erste große Torwartparty mit den Torhütern, mit mir als Torwarttrainer und unseren Frauen war ein großer Erfolg (lacht).
Du hast das Alter schon angesprochen. Merkt man diese Erfahrung der drei in der täglichen Arbeit?
Zeiß: Das ist sehr unterschiedlich. Natürlich spürt man eine gewisse Erfahrung, allerdings sind sie auch manchmal wie drei kleine Jungs. Generell arbeite ich auch sehr gerne mit jungen Torhütern, weil man da Fortschritte noch schneller sieht. Allerdings muss ich auch sagen, dass die Jungs trotz des Alters, wenn sie bereit sind, dennoch nochmals einen Schritt nach vorne kommen können. Grundsätzlich ist es eher typbedingt, ob sich jemand noch verbessern kann und möchte. Entweder man will immer weiter dazu lernen oder man denkt mit 25 schon, dass man alles kann. Und da haben wir ein sehr lernwilliges Torhütertrio.
Wie sieht man das im täglichen Training?
Zeiß: Das hat natürlich auch mit dem zu tun, was ich ihnen anbiete. Meine Aufgabe ist es, den Jungs im Training Aufgaben zu stellen und keine Sachen, wo sie denken: Ach ja, das schaffe ich schon. Ich bin kein Fan davon, dass ich den Jungs jeden Tag ein gutes Gefühl geben muss und sie denken, sie seien die besten Torhüter. Es geht schon darum, Reize zu setzen, dass sie noch besser werden können. Für mich ist es wichtig, da die richtige Balance zu finden.
Hätte der frühere Torhüter Ronny Zeiß in dieses Torhütertrio reingepasst?
Zeiß: Hundertprozentig. Ich bin ein Typ, der mit allen Altersgruppen gut kann. Mit unseren Torhütern, aber auch zum Beispiel mit unseren U19/U21-Torhütern, die manchmal oben dabei sind, oder auch mit unseren Torhütern aus der U16, U15, wenn diese nicht scheinbar so viel Angst vor mir hätten, weil ich der Torwarttrainer von den Profis bin (lacht). Ich glaube, dass ich in das Team auch als Torhüter gut reingepasst hätte und auch Spaß hätte. Spaß ist mir nicht unwichtig, solange es nicht in Blödsinn ausartet und der Fokus immer auf der Verbesserung der eigenen Leistung liegt. In erster Linie sind wir ja alle aus Freude zu diesem Spiel in den Fußball gegangen.
Du warst vor deinem Wechsel zum SSV Jahn in Leipzig im Nachwuchs tätig. Wie unterscheidet sich die Arbeit mit Talenten und Profis?
Zeiß: Im Nachwuchs kannst du noch einen Tick mehr an persönlicher Entwicklung arbeiten. Im Profibereich musst du schon immer darauf schauen, am Wochenende erfolgreich zu sein. Aber das sind eher Nuancen in der Arbeit. Bei Torhütern ist es egal, ob du einen 16-Jährigen oder einen 34-Jährigen hast – die haben alle irgendwo eine kleine Macke (lacht). Der Fokus im Nachwuchs liegt nur noch eher auf der Entwicklung, wo du in einer Trainingswoche auch mal überreizen kannst und es nicht so schlimm ist fürs Wochenende, zumal im Nachwuchs noch nicht der Druck herrscht wie im Profibereich. Was die Trainingsarbeit auf dem Platz betrifft, gibt es keine großen Unterschiede, natürlich abhängig vom Alter beziehungsweise Niveau der Torhüter.
Stichwort Druck. Der große Druck, der ohnehin im Fußball herrscht, ist bei Torhütern nochmal ausgeprägter, weil jeder Fehler meist zum Gegentor führt. Arbeitest du mit den Torhütern in diesem Bereich, wie sie am besten mit Druck oder auch mit Fehlern umgehen?
Zeiß: Ich kann den Jungs natürlich nicht so viel mit auf den Weg geben, wie es ein guter Psychologe inhaltlich könnte. Sicherlich ist aber meine lange Erfahrung extrem hilfreich. Was ich machen kann: Ruhe ausstrahlen im Spiel und im Training, wenn die Jungs mal einen Fehler machen. Ich bin kein Torwarttrainer, der zu Aktionismus tendiert. Wenn Alex im Spiel eine Flanke unterlaufen sollte, würde ich nicht in der Woche danach anfangen, Flankentraining zu intensivieren. Denn eine gewisse Qualität ist da und Einmal-Fehler haben nichts mit der Qualität des Torhüters zu tun. Ich nehme den Druck durch meine Art des Umgangs mit ihnen, durch die Art, wie ich mit ihnen vor und nach den Spielen spreche. Ich hoffe, dass ihnen das Gefühl gegeben wird: Ronny steht hinter uns. Und sie sollen wissen, dass die Meinung die ich ihnen gegenüber zu bestimmten Situationen kundtun, diese vertrete ich auch gegenüber allen anderen im Verein oder in der Öffentlichkeit.
Kommen wir ein bisschen zu dir persönlich. Was man hört, dass du oft schon sehr früh am Gelände bist.
Zeiß: Das stimmt. Die Putzfrau schimpft manchmal, wenn ich schon um 6:30 Uhr da bin. Am Morgen ist noch Ruhe im Büro. Mein Tag beginnt meist mit Sport, dass brauche ich für mein Wohlbefinden.
Allgemein sollst du ein sehr gesundheitsbewusster Mensch sein…
Zeiß: Das stimmt. Ich versuche mich schwerpunktmäßig vegan zu ernähren. Das hat auch hauptsächlich mit der Tierhaltung zu tun. Ernährung ist mir schon länger sehr wichtig. Für mich ist es ohnehin die Grundvoraussetzung für diesen Job, dass du eine gewisse Fitness mitbringst. Ich mag mir nicht vorstellen, auf dem Platz zu stehen und von meinen Torhütern gewisse Sachen zu erwarten ohne selbst fit zu sein. Ich möchte auch die Qualität meines Trainings so hoch wie möglich halten, dafür sind Ernährung und Fitness die absolute Grundlage. Ich mache es aber auch, weil ich das Gefühl habe, dass es mir einfach guttut. Ich laufe zum Beispiel immer ohne Musik, das ist dann die Phase, in der ich richtig kreativ denken kann und mir viele Ideen kommen, was ich in nächster Zeit mit den Jungs auf dem Platz machen könnte oder wie ich gegebenenfalls schwierige Gespräche führen sollte.
Trotz deiner gesundheitsbewussten Einstellung, soll es kürzlich vorgekommen sein, dass ein Energy-Drink mit deinen Initialen darauf in der Küche stand…
Zeiß: (lacht) Das stimmt, das wollte mir aber einer meiner Trainerkollegen unterjubeln und mich ein bisschen aufziehen. Obwohl ich sechs Jahre lang im von diesem Unternehmen gesponserten Verein gearbeitet habe, habe ich diesen Energy-Drink noch nie getrunken. Ich bin aber ohnehin kein Koffein-Junkie, trinke zum Beispiel auch keinen Kaffee.
Auf der Jahn Homepage steht in deinem Steckbrief unter Hobbys: Lesen, Kochen, Reisen. Was liest du?
Zeiß: Ich lese sehr unterschiedliche Sachen, lese gerne Biographien oder Themen der Zeitgeschichte. Zuletzt die von Barack Obama, ich habe aber auch schon die von Helmut Kohl gelesen. Gerade die Zeit des zweiten Weltkriegs interessiert mich sehr. Ich lese aber auch gerne Bücher von Frank Schätzing, John Grisham oder Ken Follet. Ich habe unheimlich viele Bücher zu Hause und ich glaube von den rund 250 Büchern vielleicht drei, vier nicht gelesen.
Warum kochst du gerne?
Zeiß: Daran bin ich eher über meinen Sohn geraten, der sehr gerne und auch sehr wild kocht. Der braucht meistens im Gegensatz zu mir keine Rezepte. Ich backe auch mal gerne Brot zu Hause. Ich koche fast jeden Tag, weil ich kein Freund von Fertiggerichten bin.
Und wohn reist du gerne?
Zeiß: Ich reise mit meiner Frau gerne irgendwohin, wo wir noch nicht waren. Ab einem gewissen Alter kommt es aber öfter vor, dass man an gleiche Orte wieder reist. Wir haben zum Beispiel seit Jahren Freunde auf La Palma wo wir gern sind. Es gab zwei Urlaube, die wirklich fantastisch waren: 2014 in Irland. Das war sehr gut zur Erholung nach dem Abstieg mit Cottbus und dem Wechsel nach Leipzig. 2018 waren wir in Namibia auf Safari. Das war überragend, eine komplett andere Welt zu sehen. Auch die Reisen in die USA waren immer extrem interessant. Da wir keine Hotelurlauber sind, sind wir natürlich relativ nah am „normalen“ Leben in diesen Ländern.
Du hast deinen Sohn angesprochen, hast du weitere Kinder?
Zeiß: Ich habe eigentlich eine Tochter, also einen Transsohn. Ich bin unfassbar stolz auf ihn. Es war für ihn natürlich nicht leicht. Ich habe ihn nach dem Outing sofort unterstützt und unterstütze ihn bis heute in bei allen Dingen, die er macht. Er ist nach meiner Station dort in Leipzig geblieben, studiert dort. Ich bin unfassbar stolz, wie er das hinbekommt. Dieses Outing war für ihn persönlich eine unfassbare Befreiung, dadurch ist er ein „anderer“ Mensch geworden. Er war als Mädchen sehr schüchtern, sehr unsicher. Heute ist er ganz anders. Deshalb bin ich froh, dass er das gemacht hat, auch wenn die Anfangszeit nicht so einfach war für ihn. Für mich als Vater war dies zu Beginn natürlich „komisch“ aber ich bin mir sicher, dass dies für mich auch ein weiterer Schritt in der persönlichen Entwicklung ist.
Zum Abschluss darfst du uns noch eine lustige Anekdote über einen Kollegen aus dem Trainerteam erzählen: Basti Dreier.
Zeiß: (überlegt lange) Basti ist so gut strukturiert, der tritt in kein Fettnäpfchen (lacht).
Das Interview mit Ronny Zeiß ist Teil einer Interview-Reihe, die zunächst in der Dezember-Ausgabe der "Jahnzeit" erschienen ist. Die ganze Ausgabe ist im Jahn Fan- und Onlineshop gedruckt erhältlich und zudem online abrufbar. Die Dezember-Ausgabe der Jahnzeit ist wie gewohnt entstanden in Zusammenarbeit mit den Partnern Valentum Kommunikation GmbH (Layout), die printzen (Druck) & iHeft (multimediale Ausgabe). Das Corporate Design stammt von seitenwind. Die neue Jahnzeit in gedruckter Form ist auch im Jahn Fanshop am Jahnstadion Regensburg sowie im Jahn Onlineshop erhältlich.