In der Dezember-Ausgabe der "Jahnzeit" stand das Trainerteam der Jahnelf hinter Chef-Trainer Mersad Selimbegovic Rede und Antwort. Die ausführlichen Interviews erscheinen nun auch auf der Jahn Homepage. Das zweite Interview wurde mit Jonas Maier, Co-Trainer Analyse, geführt.
Jonas, wie viel Fußball schaust du eigentlich in einer Woche?
Jonas Maier: Puh, das ist gleich eine schwere Einstiegsfrage (lacht und überlegt lange). Allein in der Gegnervorbereitung schaue ich schon drei bis vier Spiele komplett an. Das sind pro Spiel schon einmal zwei Stunden, wenn man die Szenen vorbereitet und selektiert. Dazu kommt die Nachbereitung unserer Spiele, was drei, vier Stunden dauert, Einzelvideos kommen mit zwei, drei Stunden nochmals oben drauf. Somit kann es sein, dass ich alleine jahnbezogen mit den eigenen Spielen und den Spielen des kommenden Gegners sehr viele Stunden Fußball schaue. Dazu kommt, dass wir nach Möglichkeit alle Spiele der 2. Bundesliga im Blick haben, da schaue ich mir – sofern es zeitlich passt – möglichst viele Spiele ganz an.
Schaust du dann privat überhaupt noch Fußball?
Maier: Ja, schon (lacht). Die erste Liga, DFB-Pokal, Champions League, das schaue ich mir schon auch noch gerne an.
Kannst du Fußball überhaupt noch ganz normal schauen, ohne sofort in den Analysemodus zu schalten?
Maier: Ja, das hat sich gar nicht groß verändert. Natürlich schaut man schon ein bisschen genauer drauf, warum ein Tor entstanden ist, wo der Gegner einen Fehler provoziert hat. Aber grundsätzlich schaue ich mir abends kein Champions-League-Spiel an und mache mir dann Notizen dazu. Ich schaue Fußball gerne auch mit Freunden oder der Familie und dann auch gerne mal einfach nur nebenbei.
Wenn dir etwas besonders auffällt, versuchst du es dann auf den Jahn zu übertragen?
Maier: Auf jeden Fall. Gerade von Top-Mannschaften kann man sich schon etwas abschauen. Man muss natürlich immer schauen, was man davon auf uns übertragen kann. Am Beispiel von Standardsituationen, die sicherlich einen sehr hohen Stellenwert in der 2. Liga besitzen, kann man das ganz gut betrachten. Natürlich spielt hier die Qualität des Standardschützen eine gewisse Rolle, jedoch ist dabei die Kreativität und das Finden von Lösungen gegen die Mann- oder Raumdeckung der gegnerischen Mannschaft in gewisser Weise ligen- & niveauunabhängig
Neben der Videoanalyse stehst du beim Training auch mit auf dem Platz. Wie sieht dein Alltag beim SSV Jahn aus?
Maier: Nehmen wir mal beispielsweise eine Woche, in der wir zweimal samstags spielen. Dann findet gleich am Samstagabend und Sonntag in der Früh die Nachbereitung unseres Spiels statt. Die Szenen schauen wir uns dann im Trainerteam an und zeigen sie normalerweise am Tag nach dem freien Tag dann der Mannschaft. Parallel läuft immer schon die Vorbereitung auf die nächsten Spiele, da überlappen sich auch immer Spiele. Dafür bereite ich dann die Szenen vor, die Taktikbesprechung mit dem Team erfolgt schließlich in zwei Sitzungen. Unsere Philosophie ist von einer hohen Intensität in allen Phasen geprägt. Neben der Unterstützung des Chef- Und Co-Trainers beim Aufbau und der Durchführung der Trainings- beziehungsweise Spielformen, ist daher das „Pushen“ in der jeweiligen Form sowie das Coaching in kurzen Pausen ein wichtiger Bestandteil. Speziell für mich als Co-Trainer Analyse gilt es dann, das „Gesehene“ aus der Videositzung in der Umsetzung auf dem Platz zu beobachten und in den gefilmten Trainingsaufnahmen zu bewerten. Wir erstellen Einzelspielerplakate, wo wir Stärken und Schwächen der gegnerischen Spieler auflisten, die potenziell im Kader sein könnten. Am Spieltag erstellen wir zudem nochmal einen kleinen Matchplan, in dem wir uns auf verschiedene Eventualitäten im Spiel vorbereiten. Beim Spiel sitze ich auf der Tribüne und bin mit Basti Dreier telefonisch verbunden. Das hilft, das Spiel aus einer anderen Perspektive anzuschauen und auch losgelöst von den Emotionen am Spielfeldrand zu sein.
Seid ihr da immer ernst während des Spiels, oder fällt auch mal ein Witz?
Maier: Es kommt schon mal vor, dass ein lockerer Spruch dabei ist. Witze eher nicht.
Seid ihr von einem Gegner einmal komplett auf dem falschen Fuß erwischt worden mit einer Taktik, die ihr so gar nicht auf dem Schirm hattet?
Maier: Taktisch komplett kalt erwischt gar nicht. Es kann schon einmal sein, dass sich die Formation kurzfristig einmal verändert, aber grundsätzlich hat jede Mannschaft und jeder Trainer schon gewisse Prinzipien, die immer greifen, egal welche Grundordnung am Platz ist. Das zeigt sich auch daran, dass wir in den ersten Minuten und der ersten Halbzeit immer einen ganz guten Plan haben und in dieser Saison schon viele frühe Tore erzielen konnten. Wenn, dann passiert es eher in der zweiten Halbzeit, dass Gegner sich auf uns einstellen und wir dann wiederum darauf reagieren müssen.
Nehmen wir das Spiel aus dieser Saison gegen Erzgebirge Aue, die direkt vor dem Spiel den Trainer gewechselt haben. Wie stellt man sich dann auf das Spiel ein?
Maier: Ich war sogar beim letzten Spiel Aues davor, um mir in der Livesichtung noch einmal ein paar Eindrücke zu holen. Da hatte ich dann schon das Gefühl, dass auf der Trainerposition etwas passieren könnte. Trotzdem sieht man vor Ort noch einmal ein paar Spieler genauer und deren Verhalten, gerade für die Einzelanalyse. Wir wussten aber, dass Marc Hensel der Interimstrainer sein würde, der diese Position schon einmal ausgefüllt hatte. Dann haben wir vermutet, dass er wieder auf die gleichen Prinzipien setzen würde. Das hat dann auch genau gepasst. Aber klar, am Spieltag hätte er auch alles ändern können.
Wie viel von dem, was du siehst, kommt am Ende auch bei den Spielern an, die wahrscheinlich nur bedingt aufnahmefähig sind?
Maier: Bedingt aufnahmefähig, das ist der eine Punkt. Es ist aber auch einfach die Zeit nicht da, dass sich die Spieler intensiv mit dem Videomaterial beschäftigen. Es ist meine Aufgabe, alles zu sichten und den Matchplan im Kopf zu erstellen. Ich schau mir drei, vier Spiele pro Gegner an und selektiere in der Folge die Szenen drei bis vier Mal. Dann habe ich für jede der vier Spielphasen am Ende rund 40 Szenen, dazu kommen noch die Standards. Am Ende werden aber nur sechs, sieben Szenen pro Spielphase der Mannschaft gezeigt. Wir zeigen von den in Summe 15 bis 20 Stunden Videomaterial, das ich sichte, der Mannschaft am Ende immer rund zwölf Minuten. Die Spieler brauchen am Ende nur ein paar entscheidende Fakten. Dafür ist es meine Aufgabe, die Muster und die Prinzipien der Gegner herauszuarbeiten.
Schickt ihr Spielern auch individuell zugeschnittene Einzelsequenzen der jeweiligen Gegenspieler?
Maier: Das machen wir schon auch einmal. Die Rückmeldung ist aber eher unterschiedlich. Gewisse Spieler haben sich die Szenen gar nicht angeschaut, andere Spieler haben sich die Szenen schon angeschaut. Marco Grüttner zum Beispiel hat von mir immer die gegnerischen Innenverteidiger und den Torhüter gesehen. Er wollte sich besser auf den nächsten Gegner einstellen und genauer wissen, wie sich die Gegenspieler verhalten. Das ist dann auch einfach typabhängig vom jeweiligen Spieler.
Wie viel lässt sich denn am Ende des Tages überhaupt über Video abdecken, beziehungsweise wie wichtig ist es dennoch noch, sich nach Möglichkeit auch einen Liveeindruck des Gegners zu verschaffen?
Maier: Letzte Saison ging es wegen Corona nicht, Spiele live anzuschauen. Das war schade, denn man kann von solchen Live-Beobachtungen sehr viel mitnehmen. Man sieht relativ viel, was abseits des Platzes ist, wie die Stimmung ist. Man nimmt zum Beispiel auch die Bank des Gegners ganz anders wahr. Von daher bringt die Livesichtung schon einen großen Mehrwert. Wenn es zeitlich möglich ist, schaue ich mir schon jeden Gegner einmal auch live an.
Blicken wir auf das Trainerteam: Wie würdest du euer Zusammenspiel beschreiben, wie harmoniert ihr miteinander?
Maier: Es ist mit einer engen Freundschaft zu vergleichen. Da kommt auch untereinander schon mal ein flotter Spruch. Es ist sehr locker, wir haben viel Spaß. In den wichtigen Phasen, wenn wir Inhaltliches besprechen, ist natürlich auch der nötige Fokus da.
Als du 2018 zum Jahn gekommen bist, sah das Trainerteam noch anders aus. Aus dem Team von damals ist nur noch Mersad Selimbegovic da. Wie hat sich das Team verändert?
Maier: Es ist schon komisch. 2018 bin ich in ein intaktes Trainerteam gekommen, das in dieser Konstellation schon zusammengearbeitet hatte. Im ersten Jahr war ich der Neue, der sich in die Abläufe einarbeiten musste. Seit ich da bin, hat sich jedes Jahr eine Trainerposition im Team verändert. Das zeigt einem dann auch, welch schnelllebiges Geschäft der Fußball doch ist. Da muss man sich dann auch immer wieder auf die Abläufe der anderen Trainer einstellen, weil jeder doch etwas anderes kennt. Man lernt immer wieder neue Leute und deren Geschichten kennen. Das ist auch immer eine Bereicherung, auch wenn ich zu ehemaligen Mitgliedern des Trainerteams noch einen guten Kontakt pflege.
Als Videoanalyst hast du, wie dieses Gespräch verdeutlicht, sehr wenig freie Zeit. Wenn du sie doch mal hast: Was machst du abseits des Fußballs gerne?
Maier: Länderspielpausen sind immer eine gute Möglichkeit, ein bisschen durchzuatmen. Da versuche ich schon, Familie oder Freunde zu sehen. Weil gerade der Besuch von Freunden in Köln oder Hamburg auch mit großem zeitlichen Aufwand verbunden ist, bevorzuge ich es inzwischen, an solchen Tagen wandern zu gehen oder auch mal einen Wellness-Tag einzulegen. Da kann man dann gut abschalten jenseits des Hamsterrads und Trubels im Fußballalltag.
Du bist in Regensburg geboren, in der Nähe von Straubing aufgewachsen und warst zwischenzeitlich aber auch mal weg aus der Region. Was bedeuten dir Regensburg und die Region?
Maier: Nachdem ich hier aufgewachsen bin, war ich einige Jahre in Köln und hatte dort auch so etwas wie eine neue Heimat für mich gefunden. Als sich die Möglichkeit ergab, hierher zurückzukommen, wo meine Familie und meine besten Freunde sind, war es natürlich eine tolle Sache. Mein Bruder und meine Schwestern wohnen nun auch in Regensburg. Somit habe ich hier ein gutes persönliches Umfeld, das mir abseits des Fußballs guttut. Im Profifußball ist es eher sehr selten der Fall, die Möglichkeit zu bekommen, in seiner Heimat und im familiären Umfeld arbeiten zu dürfen. Darüber hinaus schätze ich an Regensburg, besonders im Sommer, an der Donau zu liegen oder abends in einem der vielen schönen Gässchen das Stadtleben zu genießen.
Du wohnst in Regensburg ja in der Innenstadt. Uns wurde die Frage mit auf den Weg gegeben, ob du dich dort denn sicher fühlst, gerade dort, wo du dein Auto immer parkst?
Maier: (lacht laut) Ja, ich wohne in der Stadt am Ostentor, fühle mich dort auch sehr wohl. Es kommt aber immer mal wieder vor, dass ich am nächsten Tag meine Scheibenwischer in die richtige Position bringen muss, weil gewisse Personen daran vorbeilaufen & diese verstellen. Vielleicht stellen sie diese auch nur hoch, weil es jetzt wieder kälter wird, damit sie nicht festfrieren. Vielleicht muss ich mich an dieser Stelle auch bedanken (schmunzelt). Es kann schon sein, dass an meinem Auto im Vergleich zum Vortag ein paar Sachen verändert wurden.
Weil zufällig auch ein paar Spieler in der Nähe wohnen?
Maier: Zufällig wohnen da auch ein paar Spieler. Ich kann mir aber überhaupt nicht vorstellen, dass einer unserer Spieler so etwas machen würde. Das wäre ja Verleumdung (lacht).
Als Abschluss darfst uns auch du eine lustige Anekdote über den nächsten dieser Interviewreihe erzählen: Thomas Barth.
Jonas Maier: Tommi hat einen, wie ich finde, sehr guten, trockenen Humor. Vor kurzem hatten wir die Möglichkeit, mit der gesamten Mannschaft Ballon zu fahren. Verständlicherweise hatten einige im Vorfeld Respekt vor der Fahrt. So beobachteten alle sehr neugierig, gewiss auch etwas nervös und skeptisch den Aufbau. Dabei stellte sich Tommi hinter eine Gruppe und begann eines seiner Selbstgespräche mit ruhiger aber ernster Stimme: „Ist das richtig, was der da macht, gehört das so? Da stimmt doch was nicht und dann noch der Wind… beim letzten Mal war das anders“ Einige der Teilnehmer reagierten dabei sichtlich irritiert und unwohl, bis er seine Stimme veränderte und sich die Anspannung in Gelächter entlud...
Das Interview mit Jonas Maier ist Teil einer Interview-Reihe, die zunächst in der Dezember-Ausgabe der "Jahnzeit" erschienen ist. Die ganze Ausgabe ist im Jahn Fan- und Onlineshop gedruckt erhältlich und zudem online abrufbar. Die Dezember-Ausgabe der Jahnzeit ist wie gewohnt entstanden in Zusammenarbeit mit den Partnern Valentum Kommunikation GmbH (Layout), die printzen (Druck) & iHeft (multimediale Ausgabe). Das Corporate Design stammt von seitenwind. Die neue Jahnzeit in gedruckter Form ist auch im Jahn Fanshop am Jahnstadion Regensburg sowie im Jahn Onlineshop erhältlich.