Aygün Yildirim ist neu beim SSV Jahn. In den vergangenen Jahren hat er sich Schritt für Schritt nach oben gearbeitet und vergangene Spielzeit mit 14 Toren für Drittligist SC Verl auf sich aufmerksam gemacht. Yildirim weiß genau, was er auf dem Platz will. Ein Porträt.
Aygün Yildirim ist kein ungeduldiger Mensch. Wegen seiner Talusfraktur, die er sich beim Spiel mit dem SC Verl gegen den TSV 1860 München Mitte April zugezogen hat, hatten ihm die Ärzte zunächst eine Ausfallzeit von sechs bis acht Wochen vorhergesagt. Nun sind es schon elf. Doch Yildirim hadert nicht. „Das ist meine erste schwerere Verletzung“, sagt er. In seiner bisherigen Karriere blieb es bei einer kleineren Verletzung am rechten Innenband, Ausfallzeit wenige Wochen. Selbst muskulär hatte er noch nie Probleme. „Verletzungen gehören zum Fußball leider dazu. Es bringt jetzt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Ich bringe viel Geduld mit.“
Statt Frust löst die Verletzung in Yildirim etwas anderes aus: Motivation. „Jeder Tag, den die Verletzung länger dauert, motiviert mich umso mehr, gestärkt daraus hervorzugehen. Ich brenne darauf, hier auf dem Platz zu spielen“, sagt er von der Tribüne aus ins Jahnstadion Regensburg blickend. Die Krücken ist Yildirim inzwischen los, seit dieser Woche befindet er sich zur Reha in Donaustauf. Nach zwei Wochen will er dann nach und nach ins Mannschaftstraining einsteigen. Für den ersten Spieltag, so realistisch ist Yildirim, wird es mit einem Einsatz noch nicht reichen. Der Neuzugang vom Drittligisten SC Verl peilt aktuell den dritten oder vierten Spieltag an, dann will er möglichst bei 100 Prozent sein.
Der nächste logische Schritt
Dass Yildirim in der kommenden Saison für die Jahnelf in der 2. Bundesliga auflaufen wird, ist der nächste logische Schritt in der Laufbahn des 26-Jährigen. Vor rund sieben Jahren, im Alter von 19 Jahren, machte der Offensivspieler seine ersten Schritte im Herrenbereich noch bei seinem Heimatverein Rot-Weiß Ahlen, in der fünften Liga. Ein Nachwuchsleistungszentrum hat er nie besucht. Zwar hätte es Angebote gegeben, der Aufwand neben der Schule – Yildirim hat erst Abitur gemacht und später auch angefangen, Sport („Hat zu mir gepasst“) und Geschichte („War eher nicht meines“) auf Lehramt zu studieren – wäre aber zu groß gewesen. „Dieser Weg, wie ich ihn gegangen bin, war gut uns passt zu mir“, sagt er.
Nach und nach ging es für ihn in den Folgejahren weiter nach oben. Mit Ahlen stieg er in die Regionalliga auf. Nach einem Jahr in Wiedenbrück versuchte er es das erste Mal in der 3. Liga. In Lotte lief es aber weder fürs Team noch für ihn wirklich gut. Aus dieser Zeit nimmt Yildirim auch die Bedeutung des Kollektivs mit. „Wenn die Mannschaft harmoniert und funktioniert, dann ist das die halbe Miete“, sagt er.
Ein Schritt zurück, mehrere nach vorne
Nach einem halben Jahr ging Yildirim wieder einen Schritt zurück in die Regionalliga nach Verl – nur, um mächtig Anlauf zu nehmen. „Manche hätten in dieser Situation vielleicht aufgegeben, ich habe aber nie aufgegeben und wollte es erst recht beweisen“, blickt Yildirim zurück. Mit Verl stieg er in seiner ersten kompletten Saison in die 3. Liga auf, wo er vergangene Saison mit dem Team und persönlich auf sich aufmerksam machte – mit Platz sieben und persönlich 14 Toren und fünf Vorlagen in 30 Spielen bis zu seiner Verletzung.
Nun der Schritt zum Jahn. Mit seinen Werten aus der Vorsaison hatte er auch andere Angebote. Imponiert hat Yildirim, dass der Jahn schon lange und hartnäckig an ihm interessiert war. „Es waren tolle Gespräche mit Christian Keller und Mersad Selimbegovic. Ich habe gemerkt, dass sie einen klaren Plan mit mir verfolgen“, sagt Yildirim.
"Musste mich immer wieder aufs Neue beweisen"
Diesen hat er nun auch selbst für seine Zeit in Regensburg. Die Spielidee des Jahn passe perfekt zu ihm. „Ich bin ein guter Pressingspieler. Ich bin gut gegen den Ball, habe ein gutes Umschaltspiel und gutes Tempo. Zudem kann ich mich im Eins-gegen-Eins durchsetzen und bin gut für Tore“, sagt Yildirim. Auf dem Platz könne er für seine Gegenspieler auch mal unbequem sein. „Sobald der Schiedsrichter anpfeift, bekommen meine Gegenspieler schon einiges von mir zu hören“, sagt der 26-Jährige mit einem Lachen. Zudem bezeichnet er sich als „Mentalitätsspieler“. Ohne diese Mentalität wäre es nicht möglich gewesen, sich so nach oben zu arbeiten. „Mir hat niemand etwas geschenkt, ich musste mich immer wieder aufs Neue beweisen und mich durchsetzen.“
Durchsetzen will er sich nun auch in der 2. Bundesliga. Yildirim erwartet, dass das Spiel noch schneller, noch intensiver, taktisch noch besser ist als in der 3. Liga. Angst hat er davor aber nicht. „Ich bin davon überzeugt, dass ich in der 2. Liga spielen und meine Stärken auch hier auf den Platz bringen kann. Ich werde mich nicht verstecken und will die 2. Liga mit Selbstbewusstsein angehen.“ Weil er immer Schritt für Schritt gegangen sei, habe er noch nie Probleme gehabt, sich an ein höheres Niveau anzupassen. Für die 2. Liga will er sich nun noch in allen Bereichen weiterentwickeln. „Das sollte aber ohnehin der Anspruch eines jeden Spielers sein, sich in jedem Training und in jedem Spiel zu verbessern“, findet Yildirim.
Familie Yildirim und der Fußball
Das Fußballer-Gen liegt dabei durchaus auch in der Familie. Yilidirms Vater hat früher selbst Fußball gespielt. Nachdem er mit 16, 17 Jahren nach Deutschland kam, spielte er in der dritthöchsten Liga. „Lufthansa“ wurde er damals aufgrund seiner Kopfballstärke genannt. „Dieses Kopfballspiel hätte ich auch gerne“, scherzt Yildirim. Mit fünf, sechs Jahren fing Yildirim selbst mit dem Kicken an. Angefangen hat alles im Spielzeugladen „Toys ‚R‘ Us“. Seine Mutter erzähle ihm immer wieder, dass er sich als erstes Spielzeug dort einen Ball ausgesucht und dann immer damit gespielt habe. Seine Familie hat ihn in der Karriere immer unterstützt. „Als Kind hat mein Vater kein Spiel von mir verpasst, obwohl Kollegen von ihm am Wochenende Überstunden gemacht haben, um ein paar Euro mehr zu verdienen. Meinem Vater war es immer wichtiger, dass er mich spielen sieht“, sagt Yildirim.
Es ist spürbar, dass ihm seine Familie sehr wichtig ist. „Ich bin ein absoluter Familienmensch“, sagt er. Seine Großmutter und Tanten mütterlicherseits leben noch in der Türkei. Außer zum Urlaub machen hat er aber nur wenig Bezug zum Heimatland seiner Eltern. „Ich kann türkisch sprechen, bin aber hier aufgewachsen, habe in Deutschland meine Freunde und mein Umfeld“, sagt er. Typisch türkisch soll aber die Hochzeit mit seiner Verlobten Irem (21) werden. Im Winter soll geheiratet, im Sommer 2022 nach der Saison gefeiert werden. Nicht ganz so groß, wie es eine türkische Hochzeit normal ist, aber mit 200 bis 250 Leuten stellt sich Yildirim seine Hochzeitsfeier schon vor.
Erstmals auf sich alleine gestellt
Für den Wechsel nach Regensburg zieht Yildirim nun auch das erste Mal von zu Hause aus. „Natürlich werde ich meine Familie vermissen, aber wenn man erfolgreich sein will, muss man auch auf etwas verzichten können“, sagt er. Bislang hat er morgens entspannt mit seiner Mutter gefrühstückt, ehe es zum Training ging. Nun wird er auf sich alleine gestellt sein. Weil er selbst sagt, dass sich seine Kochkünste auf ein Rührei zum Frühstück beschränken, verwundert es nicht, dass er in der Stadt Essen gehen als eine seiner liebsten Freizeitbeschäftigungen aufzählt. Weitere Hobbys sind Kraftsport, Playstation spielen und Serien schauen. Musikalisch ist er im Deutsch-Rap zuhause.
Yildirim hinterlässt den Eindruck eines jungen Mannes, der genau weiß, was er will. Das mag auch daran liegen, dass er in seiner Karriere schon einmal hingefallen ist. In seiner Anfangszeit im Herrenbereich war das. Yildirim folgte dem Lockruf eines türkischen Drittligisten. Die Umstände waren nicht gut nach wenigen Wochen las Yildirim in den sozialen Medien, dass der Verein den Vertrag mit ihm wieder aufgelöst habe. Yildirim war geschockt, packte seine Sachen und ging zurück zu seinem Heimatverein nach Ahlen.
„Damals war ich noch zu ungeduldig. Ich wollte zu schnell den vermeintlich nächsten Schritt machen und – ehrlich gesagt – auch schnell mehr Geld verdienen. Daraus habe ich aber meine Lehren gezogen.“ Yildirim hat gelernt, dass es sich lohnt, auch mal etwas mehr Geduld an den Tag zu legen. Das macht er nun im Bezug auf seine Verletzung – um dann voll bei der Jahnelf und in der 2. Bundesliga anzugreifen.