Steve Breitkreuz hat in seinem Leben schon einige Rückschläge hinnehmen müssen. Als er gerade am Übergang zum Herrenfußball stand, riss das Kreuzband. Statt aufzugeben entwickelte er eine Jetzt-erst-recht-Mentalität, stand auf und schaffte es zum Zweitligaprofi. Wie Steve Breitkreuz eine Resilienz entwickelte, wie er mit schwierigen Situationen umgeht und wie er zum Führungsspieler bei der Jahnelf wurde, erklärt er im ausführlichen Jahnzeit Interview.
Steve Breitkreuz kommt zum Interview. Wie war das Training? „Ganz schön intensiv und anstrengend für diejenigen, die am Wochenende nicht gespielt haben“, sagt er. Es ist der erste Trainingstag der Länderspielpause, der zweite Tag nach dem Heimsieg des SSV Jahn Regensburg gegen den FC St. Pauli. Wenn die Ersatzspieler im Training nach dem Spieltag richtig hart rangenommen werden, dann ist Steve Breitkreuz im Normalfall nicht dabei. Er macht dann wie die anderen Stammspieler etwas ruhiger, regeneriert nach dem Einsatz am Wochenende. Denn Steve Breitkreuz spielt immer. Also so gut wie. Wenn er nicht gerade verletzt, krank oder gesperrt ist. Letzteres war gegen den FC St. Pauli der Fall. In der Woche zuvor, auswärts beim Spitzenreiter SC Paderborn, hatte Breitkreuz in der zweiten Halbzeit die Rote Karte gesehen. Dass der Videoassistent die Szene korrigierte, nachdem der Verteidiger zunächst Gelb gesehen hatte, verstand Breitkreuz nicht. Denn aus seiner Sicht bewegte sich der Stürmer weg vom Tor, also war es keine klare Notbremse. Die Sperre gab es natürlich trotzdem. Neben dem Spiel gegen St. Pauli durfte Breitkreuz auch im ersten Spiel nach der Länderspielpause auswärts beim FC Magdeburg nicht ran.
Jahnzeit: Steve, wie blickst du auf die Rote Karte zurück?
Steve Breitkreuz: Im Spiel habe ich es überhaupt nicht verstanden. Auch danach beim Anschauen der Bilder nicht. Deshalb ist es ärgerlich, wenn du durch diese Situation das Spiel endgültig aus der Hand gibst.
Wie lange beschäftigt dich so etwas noch?
Es ist im Grunde wie bei einer Niederlage. Ein, zwei Tage hat man schon noch daran zu knabbern, dann ist die Sache aber auch gegessen. Es half auch, dass es für mich keine rote Karte war. Es war ärgerlich, aber es war nicht so, dass ich absichtlich jemanden getreten oder eine Dummheit begangen habe. Sonst hätte ich mich noch länger darüber geärgert. Es ist eine Sache von Sekunden und ich habe in dem Moment die falsche Entscheidung getroffen.
Gehen wir weg von der Situation und dem Platzverweis. Wie gehst du als Typ allgemein mit Rückschlägen um?
Ich beschäftige mich schon viel damit. Ich bin als Typ vielleicht auch ein bisschen zu reflektiert, suche meistens die Schuld als erstes bei mir selbst. Ich hebe jeden Stein hoch und schaue, was man verändern und verbessern kann. Andererseits habe ich auch schon andere Rückschläge erlebt und zwar in anderen Ausmaßen, die auch längerfristige Folgen hatten. Diese Zeiten habe ich auch gut gemeistert und man entwickelt mit der Zeit und durch solche Phasen auch eine gewisse Resilienz. Man verlässt sehr schnell die Opferrolle und geht über in eine Jetzt-erst-recht-Mentalität. Ich musste früh lernen mit Rückschlägen umzugehen und würde sagen, dass ich ganz gut im Nehmen bin.
"Ich musste früh lernen mit Rückschlägen umzugehen und würde sagen, dass ich ganz gut im Nehmen bin."
Steve Breitkreuz wuchs in Berlin auf. Im Alter von 14 Jahren landete der talentierte Kicker im Nachwuchs von Hertha BSC und durchlief dort alle Jugendmannschaften bis zur U23. Wie viele andere Spieler in Nachwuchsleistungszentren hatte auch Breitkreuz einen großen Traum: Fußballprofi werden. Dann kam der Mai 2010, Breitkreuz riss sich das Kreuzband. Er war gerade 18 Jahre alt. „Für mich ist eine Welt zusammengebrochen“, blickt er auf diese Zeit zurück. Es ist die Phase, in der sich bei den meisten Spielern entscheidet, ob sie es zum Profi schaffen oder nicht. „In dieser Phase schwimmen noch viele Talente im Becken, die Durchlässigkeit nach oben ist aber sehr gering. Da können einzelne Spiele darüber entscheiden, ob du es nach ganz oben schaffst oder nicht.“ Und Breitkreuz war mit der schweren Verletzung für viele Monate weg.
Es war eine Phase, in der viele ihren Traum vom Fußballprofi vermutlich begraben hätten. Ohnehin ist es laut Breitkreuz so, dass es in Berlin viele sehr talentierte Fußballer gibt. Aber nicht viele würden es nach oben schaffen. Die Verlockungen der Großstadt würden einen erheblichen Teil dazu beitragen. „In Berlin kannst du, wenn du möchtest, jeden Tag feiern gehen“, sagt Breitkreuz. Da müsse man als junger Erwachsener erst einmal Nein sagen können, wenn die Freunde regelmäßig unterwegs sind.
Wie hast du es in dieser Zeit geschafft dranzubleiben?
Ich musste den langen, steinigen Weg nehmen und mich zurückkämpfen. Kurz nach meinem ersten Kreuzbandriss habe ich mir einen zweiten zugezogen und habe fast zwei Jahre keinen Fußball gespielt. Später, als ich schon in Aue gespielt habe, war ich nochmal lange draußen wegen meinem Knie. Man lernt durch solche Phasen extrem viel dazu und kann auch die Perspektive ändern. Man ist nicht nur in der Blase Fußball gefangen mit dem Fokus von Wochenende zu Wochenende. Man schafft es in so einer Phase, den Weitwinkel zu bekommen. Insofern kann ich, um nochmals auf den Beginn zurück zu kommen, sagen, dass ich lieber eine Rote Karte sehe als wieder verletzt zu sein.
Wann hast du es geschafft, diesen Blick zu öffnen?
Nach so einer schweren Verletzung sind die ersten Wochen nach der Diagnose richtig hart. Nach meiner ersten Verletzung musste ich auch erst einmal vier Wochen trainieren, um die Schwellung aus dem Knie zu bekommen und überhaupt operiert werden zu können. Da war es echt schwer. Ich habe mich eingesperrt und wollte eigentlich mit niemandem etwas zu tun haben. Durch die Schule hatte ich noch ein bisschen Ablenkung durch Mitschüler, die nicht zwingend mit dem Fußball zu tun hatten. Aber für einen Jugendlichen, der alle Hoffnungen darauf setzt, sich den Traum vom Profifußball zu erfüllen und seine Identität auch ein Stück weit im Fußball gesehen hat, war es richtig schwer zu lernen, dass man nicht nur aus Fußball besteht. Die guten Freunde mögen dich trotzdem noch und wie du als Mensch bist, ist nicht abhängig von deinen Leistungen auf dem Fußballplatz.
"Für einen Jugendlichen, der alle Hoffnungen darauf setzt, sich den Traum vom Profifußball zu erfüllen und seine Identität auch ein Stück weit im Fußball gesehen hat, war es richtig schwer zu lernen, dass man nicht nur aus Fußball besteht."
Das heißt, du hast dich irgendwann nicht mehr nur über den Fußball definiert?
Genau. Das würde ich auch jedem jungen Spieler empfehlen. Es kann alles so schnell gehen im Sport, das ist keine Konstante im Leben. Es kann von einem Tag auf den anderen eine Verletzung kommen oder ein Trainer, der nicht auf dich setzt. Daran können auch einige kaputtgehen. In meinem Jahrgang hatten wir tatsächlich acht Spieler mit einem Kreuzbandriss und fast alle hatten dadurch einen richtigen Karriereknick und haben sich nicht so aufgerappelt wie ich.
Nach einem guten Saisonstart hatte in dieser Saison auch die Jahnelf in dieser Spielzeit eine schwierige Phase zu meistern. Sechs Spiele ohne Sieg und ohne Tor. Breitkreuz ist dabei einer der Führungsspieler in der Mannschaft, ist seit dieser Saison auch im Mannschaftsrat des Teams.
Wie versuchst du in einer solchen Phase einzuwirken als Führungsspieler und Mitglied des Mannschafsrates?
Ich habe solche Phasen schon des Öfteren erlebt, in Aue war das nicht anders. Nachdem wir im letzten Jahr zu Beginn die ersten Spiele gewonnen hatten, habe ich zu Konni Faber gesagt, dass ich auch schon Phasen erlebt habe, in denen man monatelang nicht gewinnt. Mit den Siegen hat sich alles so einfach angefühlt. Die Realität in der 2. Liga bedeutet aber, dass du hart arbeiten musst, dass du das Glück erzwingen musst und teilweise auch das Glück einfach brauchst. Eine solche Phase wurmt einen natürlich und man ist selbst unzufrieden, ich versuche aber dennoch, nicht den Kopf zu verlieren.
"Die Realität in der 2. Liga bedeutet, dass du hart arbeiten musst, dass du das Glück erzwingen musst und teilweise auch das Glück einfach brauchst."
Kann man Punkte, die du in persönlich schwierigen Phasen gelernt hast, auch auf schwierige Phasen mit dem Team anwenden?
Durchaus. Zum Beispiel, dass man sein Selbstvertrauen nicht nur aus Ergebnissen zieht. Man sollte sich viel mehr auf seine täglichen Aufgaben fokussieren, denn das kannst du beeinflussen. Wir haben einen Tag in der Woche ein Spiel und sechs andere Tage, an denen wir uns vorbereiten können. Und diese Tage sind es, an denen man am meisten beeinflussen kann. Hier sollte man sich auf seine Arbeit konzentrieren und versuchen immer besser zu werden. Das ist meine Herangehensweise und so versuche ich auch im Team voranzugehen.
Gibst du diese Einstellung dann auch an die jungen Spieler weiter und nimmst dir mal einen von ihnen zur Seite?
Wir bereiten die Spiele schon auch immer als Mannschaft nach. Da geht es nicht nur um das Fußballerische, sondern auch ums Mentale. Teilweise übernimmt das das Trainerteam schon, das ist inzwischen ja auch eine wichtige Aufgabe eines Trainers, psychologische Unterstützung zu geben. Da geht es darum, das Ziel im Auge zu behalten und ruhig zu bleiben. Aber natürlich quatschen auch wir Spieler untereinander. Mit Scotty habe ich zum Beispiel einen sehr engen Austausch. Da wir die gleiche Position spielen, kann man Situationen besser besprechen und nachvollziehen, wie sie der andere sieht.
Machst du dir in schwierigen Phasen selbst Druck oder gelingt es dir durch diese Herangehensweise, den Druck von dir fernzuhalten?
Teils teils. Das hilft schon, dass man sich auch in schwierigen Phasen Selbstvertrauen holen kann, weil man ja weiß, dass man sich gut vorbereitet, dass man gut arbeitet. Andererseits bin ich schon ambitioniert und ehrgeizig und mache mir schon selbst Druck, möglichst erfolgreich zu sein und gewinnen zu wollen. Diesen Ehrgeiz kriegst du aus einem Sportler auch nicht raus. Das ist auch nicht nur im Spiel so, sondern auch im Trainingsspiel oder wenn wir zu Hause etwas spielen. Da kannst du gerne mal meine Freundin fragen…(lacht)
Das ganze Interview mit Steve Breitkreuz lest Ihr in der neuen Ausgabe der Jahnzeit. Die Oktober-Ausgabe der Jahnzeit ist wie gewohnt entstanden in Zusammenarbeit mit den Partnern Valentum Kommunikation GmbH (Layout), die printzen (Druck) & iHeft (multimediale Ausgabe). Das Corporate Design stammt von seitenwind. Die neue Jahnzeit in gedruckter Form ist auch im Jahn Fanshop am Jahnstadion Regensburg sowie im Jahn Onlineshop erhältlich.