Christian Viet ist einer der neuen Gesichter beim SSV Jahn, er wechselte vom FC St. Pauli nach Regensburg. Die Geschichte eines sympathischen jungen Fußballers, bei dem es auf seinem Weg lange nicht nach Profifußball ausgeschaut hat und der es mit seiner unbekümmerten Art am Ende doch geschafft hat.
Es läuft das Training der Profis von Borussia Dortmund. Jude Bellingham bekommt den Ball und leitet ihn aus der Drehung, ohne zu gucken, mit einem scharfen Pass auf Bauchnabel-Höhe einmal über den kompletten Platz weiter. Nico Schulz ist am linken Flügel das Ziel, der ehemalige DFB-Nationalspieler ist auf und davon. Daneben auf dem Platz steht Christian Viet und staunt. In diesem Moment hat er hautnah erlebt, was Weltklasse bedeutet. Es waren nicht nur solche Momente im zurückliegenden Jahr, die Christian Viet viel gebracht haben. Auf Leihbasis kickte er in der 3. Liga für die zweite Dortmunder Mannschaft und sammelte dort Spielpraxis, er war Stammspieler beim letztlich Neuntplatzierten.
Dass Christian Viet einmal in der zweiten oder dritten Liga spielen würde, war vor Jahren kaum denkbar. Er wuchs in Sauensiek in der Nähe von Buxtehude auf, und hatte eine „schöne Kindheit, wie man sie sich nur wünschen kann“, sagt er. Auf dem Dorf hatten sie viel Platz, eine Wiese hinter dem Haus, auf der sich die Kinder austoben konnten. Bald kam der Fußball ins Christians Leben, neben dem Vereinstraining wurde auf der Wiese mit den Freunden gebolzt. Sauensiek liegt am Schnittpunkt von drei Landkreisen, in jedem davon hat Viet gespielt, immer ging es sportlich ein Stück höher. Bis er letztlich in Heeslingen gelandet ist, wo die besten Spieler aus der Region gespielt haben, sie gute Trainer hatten und inzwischen einige Spieler den Weg in den Profifußball geschafft haben.
NLZ-Wechsel im ersten Schritt abgelehnt
Zur U14 und U15 hatte das Talent schon einmal die Möglichkeit, zum FC St. Pauli zu wechseln. Er lehnte ab. Er wollte den Aufwand, den das Pendeln von Sauensiek nach Hamburg mit sich gebracht hätte, nicht auf sich nehmen. Viel lieber wollte er daheim weiter mit seinen Freunden kicken und einfach Spaß am Fußball haben. Im Rückblick ist Viet froh, dass er den Weg so gegangen ist. Das hat er speziell gemerkt, als er 16 wurde. Während bei NLZ-Spielern ganz genau darauf geschaut wurde, was sie in ihrer Freizeit und am Wochenende machten, konnte er mit seinen Freunden Zeit verbringen, auf die ersten Partys gehen und seine Jugend unbeschwert genießen.
Dieses Unbeschwerte war auch etwas, das Viet ausgezeichnet hat, als er ein paar Jahre später doch dem Ruf des FC St. Pauli folgte. Ein Bekannter hatte ihm gesagt, er solle es doch probieren. Und wenn es nicht klappe, könne er bei ihm in der Firma anfangen, Viet studierte gerade BWL. Für Viet war der Wechsel sportlich ein großer Sprung, im Alltag hatte sich aber nicht allzu viel geändert. Das Krafttraining war neu, das kannte er zuvor nicht. Er hatte es aber nötig, musste robuster werden, um mithalten zu können. Acht Kilo legte er im ersten halben Jahr zu. „So viel wie danach nie mehr“, sagt er heute und lacht.
Viet kam in der Winterpause seiner ersten U19-Saison nach St. Pauli. Man merkte, dass er frisch war, anders als andere Spieler, die teilweise eine gewisse NLZ-Müdigkeit ausgestrahlt haben. Viet war neu und motiviert – und hat bereits in seinem ersten halben Jahr viele seiner Mitspieler überholt. Es ging wahrlich steil nach oben für den jungen Kicker. Am Ende seines ersten Halbjahres in Hamburg stand er erstmals im Profikader, beim Auswärtsspiel St. Paulis beim VfL Bochum. Für Viet ging alles schnell, sehr schnell. Als er mit den Profis im Bus saß, googelte er noch schnell ein paar Namen seiner nun neuen Mitspieler. Für die Spiele der Profis des FC St. Pauli hatte er sich zuvor nicht wirklich interessiert. Das zeigte, wie weit weg die Profis des FCSP zu dieser Zeit in seinem Kopf waren.
Debüt in Bochum - Wechsel nach Dortmund
Zum Einsatz kam Viet in Bochum nicht, dennoch blieb ihm der Tag gut in Erinnerung. Bochum ist für ihn zudem ein besonderer Ort – denn drei Jahre später durfte er dort dann tatsächlich sein Debüt für die Profis des FC St. Pauli feiern. Coronabedingt dann aber leider ohne Fans im Stadion. Viet lief in neun weiteren Partien für die Pauli-Profis in der 2. Bundesliga auf, vor allem spielte er aber im Regionalliga-Team der Hamburger. Deshalb folgte im vergangenen Sommer der Schritt nach Dortmund. Es war in vielerlei Hinsicht ein Mehrwert für Viet. Er lebte erstmals alleine weg von Zuhause, musste eigenständiger werden. Dazu konnte er im Training mit den BVB-Profis einiges lernen. „Das ist schon noch einmal etwas anderes als auf St. Pauli.“ Und er bekam etwas ganz Wertvolles beim BVB II: Spielpraxis auf Drittliga-Niveau.
Mit seinen Leistungen machte Viet auf sich aufmerksam und zog auch das Interesse des Jahn auf sich. „Christian ist ein sehr guter Allrounder und hat in seiner noch jungen Karriere schon viele verschiedene Positionen gespielt“, sagte Roger Stilz bei der Bekanntgabe des Transfers. „Wir sehen ihn vornehmlich in zentralen Mittelfeld. Er ist technisch beschlagen, läuferisch stark und spielintelligent. Wir freuen uns, dass sich Christian für den Weg beim Jahn entschieden hat.“
Überzeugt hat Viet dabei neben Eindrücken der Stadt auch das Gespräch mit Trainer Mersad Selimbegovic und Roger Stilz, den er aus St. Pauli bereits kannte. Mersad Selimbegovic erinnert ihn dabei an Joachim Philipkowski, unter dem Viet in der Regionalliga 60 Spiele für St. Pauli II bestritten hat und der sein bislang bester Trainer war, wie er findet. Was die beiden eint? „Sie sind offen und ehrlich, einfach geraderaus. Sie sagen dir, wenn etwas gut ist, aber auch, wenn du etwas nicht gut machst. Das machen nicht alle Trainer.“ Und Viet hat das familiäre Umfeld beim Jahn überzeugt, von dem ihm die Verantwortlichen berichteten und das ihm auch Carlo Boukhalfa geschildert hat, der Neuzugang des FC St. Pauli, den Viet in Hamburg noch kurz kennengelernt hat. „Carlo hat nur gute Worte über den Jahn gefunden“, erzählt Viet.
Viet fühlt sich im Zentrum am wohlsten
Die Schilderungen haben sich bislang erfüllt. „Ich wurde in der Mannschaft wirklich gut aufgenommen, alle sind sehr nett und es ist ein gutes Miteinander im Team“, sagt er nach den ersten eineinhalb Wochen der Vorbereitung. Viet ist dabei ein anfangs eher ruhiger Typ, der „schon ein bisschen braucht, um wirklich anzukommen“, wie er sagt. Auf dem Platz hat er sich aber einiges vorgenommen. „Mein Ziel ist es, einfach alles reinzuwerfen, der Rest kommt dann von alleine“, ist er überzeugt. Dabei will er im Mittelfeld der Jahnelf Akzente setzen. Gespielt hat er in seiner Laufbahn schon fast alles, vom rechten Schienenläufer in der Fünferkette über Innenverteidiger, Linksaußen bis zum Stürmer. Am wohlsten fühlt er sich aber im zentralen Mittelfeld. Da kann er seine Stärken am besten einbringen. Er ist ein Spieler, der Spielintelligenz und Technik mitbringt, der den Ball haben will. „Und im Zentrum muss man auch viel laufen – das kann ich“, sagt er. Im Vergleich zur 3. Liga erwartet Viet in der 2. Bundesliga nun wieder „eine höhere individuelle Qualität, Fehler werden mehr bestraft. Es wird auch mehr Fußball gespielt – aber wenn du in die Zweikämpfe gehst, dann sind diese auch härter.“
Viets Spitzname ist übrigens „Chrille“, den hat er von einem ehemaligen Mitspieler auf St. Pauli bekommen. Weil der ehemalige Kölner Bundesliga-Spieler Christian Clemens als Spitzname „Chrille“ hat, hat Viets ehemaliger Torhüter Stefan Rakocevic gedacht, dass alle Christians diesen Spitznamen haben. Viet gefällt er.
Viet ist in Regensburg noch auf der Suche nach einem Zuhause. Er sucht ein Haus, gerne auch etwas außerhalb gelegen. Das kennt und schätzt er aus seiner Kindheit. Seine Freundin, die noch in Hamburg bleibt und dort eine Ausbildung zur Bürokauffrau absolviert, soll im Januar planmäßig nachkommen, zusammen mit den drei Katzen aus dem Haushalt. Bis dahin sollte sich Viet in Regensburg schon gut eingelebt haben, neben dem Feld genauso wie in seiner neuen Mannschaft beim SSV Jahn.