Im fünfköpfigen Trainerteam des SSV Jahn Regensburg gab es in der laufenden Saison 2024/25 zwei Veränderungen. Im Sommer erweiterte mit Oliver Seitz ein Co-Trainer Analyse das Trainerteam um Torwarttrainer Philipp Tschauner und Athletiktrainer Christoph Rezler. Mit Munier Raychouni kam im November 2024 ein neuer Co-Trainer hinzu, nachdem Andreas Patz den Posten des Chef-Trainers übernommen hatte. Im Gespräch mit der Jahnzeit erzählen sie von ihren bisherigen Erfahrungen, den Herausforderungen beim SSV Jahn sowie im Doppelinterview ihre Sicht auf den Fußball. Viel Spaß beim Lesen!

Jahnzeit-Redaktion: Wie sieht für Euch “perfekter” Fußball aus?
Oliver Seitz: Ich würde sagen, die Basis ist die Arbeit gegen den Ball. Ich stelle mir aggressive Anlaufen vor, gleichzeitig aber trotzdem Ballbesitzphasen, durch die Chancen kreiert werden. Gegenpressing spielt für mich eine wesentliche Rolle.
Munier Raychouni: Die perfekte Vorstellung wäre für mich, dass man von Beginn an den Ball in der gegnerischen Hälfte hat, am besten im Angriffsdrittel und damit den Gegner permanent unter Druck setzt. Dafür brauchst du den Ball und der Weg, den Ball zu bekommen, ist natürlich gezieltes Pressing. Ich sehe den Fußball schon offensiv und mit der Absicht anzugreifen und Tore zu erzielen.
Welcher Fußball ist für kleinere Teams, beispielsweise in der 2. Bundesliga der Richtige?
Oli: Ich glaube auch für nominell schwächere Teams ist es wichtig Ballbesitzphasen zu haben, um wieder Kräfte zu sammeln. Nur so kann im Pressing die nötige Intensität aufgebracht werden. Dadurch kann ein Gegner bewegt und auf den eigenen Angriff vorbereitet werden. Es muss dann aber auch zielstrebig und mit Tempo auf das gegnerische Tor gegangen werden.
Munier: Man muss sagen, dass diese Liga gnadenlos ist. Erstens ist eine enorme individuelle Qualität vorhanden. Jeder Fehler wird ausgenutzt und bestraft. Es ist ein anderes Niveau. Wir haben in dieser Saison bereits in einigen Spielen gezeigt, dass wir gegen auch große Namen mithalten können. Es ist bitter, dass es gegen die direkten Konkurrenten nicht geklappt hat. Allerdings haben die Spiele gegen den SV Darmstadt, gegen Hertha BSC oder den HSV gezeigt, dass wir mit unserem Pressing auch jedem Team wehtun können.
Oli: Sich gegen solche Mannschaften zu behaupten, geht am Ende auch nur darüber, ihnen unangenehm und eklig gegenüberzutreten. Man muss ihnen die Lust und Freude am Fußball und am eigenen Spiel nehmen, um ihnen den Zahn ziehen zu können. Wenn du ihnen Raum und Zeit gibst, spielen sie ihre Klasse aus. Dann helfen dir auch deine eigenen Ballbesitzphasen nicht viel. Die Basis ist die Arbeit gegen den Ball.
Munier: Genau, gerade wenn du hohe Balleroberung erzielst und beim Gegner diese Unordnung für einen Moment entsteht, kann man das selbst nutzen, um schnell und zielstrebig vor das gegnerische Tor zukommen.
„Der SSV Jahn war natürlich sehr, sehr erfolgreich mit dieser Herangehensweise. Deshalb stehen wir hinter der Idee. Hier geht es um Prinzipien wie Vorwärtsverteidigung, das Attackieren von Pässen oder aggressivem Gegenpressing.“

Die Jahn Spielphilosophie definiert sich unter anderem mitunter über hohes Anlaufen. Wie steht Ihr dazu?
Oli: Der SSV Jahn war natürlich sehr, sehr erfolgreich mit dieser Herangehensweise. Deshalb stehen wir hinter der Idee. Hier geht es um Prinzipien wie Vorwärtsverteidigung, das Attackieren von Pässen oder aggressivem Gegenpressing.
Munier: So wie ich den Fußball bisher kennengelernt habe, gibt es immer wieder Trends, die gewisse Zeiträume und Denkweisen prägen. Arrigo Sacchis Spielstil in den 90er-Jahren beim AC Milan, beispielsweise mit einem 4-4-2-System und einer tief stehenden Mannschaft. Diese Form des italienischen “Catenaccio” will man nicht mehr sehen. Das hat auch mit der Einführung der Drei-Punkte-Regel zu tun, wodurch die Teams zu mehr Offensivdrang gezwungen wurden. In den letzten Jahren sah man viel “Jürgen-Klopp-Fußball” und viel Gegenpressing. Immer mehr Mannschaften haben begonnen im 4-3-3 zu spielen, wie beispielsweise auch der FC Barcelona. Am Ende hat aber jeder Trainer seine eigene Handschrift, die feinen Unterschiede finde ich sehr spannend. Der Fußball bleibt am Ende immer der Gleiche, allerdings erkenne ich gegenwärtig, wie viele Teams wieder anfangen, über Ballbesitz zu kommen. Xabi Alonso hat das beispielsweise bei Bayer 04 Leverkusen implementiert und Erfolg gehabt. Die Spielidee des Vereins gibt einem natürlich zusätzlichen Halt und einen Rahmen, in dem man seine Vorstellungen verwirklichen kann.
Oli: Ich stimme Munier zu. Es sind immer wieder Bewegungen, die den Fußball vorantreiben. Auch die Fünferkette ist bei sehr vielen Mannschaften, auch in der 2. Bundesliga, ein beliebtes Mittel, um mit einem zusätzlichen Spieler in der Kette eine weitere Form der defensiven Absicherung zu bekommen. Über die Schienenspieler, die sich immer wieder nach vorne einschalten, versucht man dann, die Präsenz in der Offensive aufrechtzuerhalten. Unserem Spiel hat die Umstellung hin zu zwei klaren Spitzen und zwei Zehnern dahinter gut getan.
Welchen Stellenwert hat die Mentalität im Fußball?
Munier: Ich bin überzeugt, dass sie eine große Rolle spielt. Arsenal oder Bayer Leverkusen haben beispielsweise in der letzten Saison einige Spiele kurz vor Schluss noch gedreht. Es wurde zu einer Fähigkeit von ihnen, spät zuzuschlagen. Das hat nicht immer etwas mit der fußballerischen Qualität zu tun, die sie zweifelsfrei auch haben. Sie sind aber absolut überzeugt von sich und ihrer Idee und wissen, was sie tun müssen, um zu gewinnen.
Kann man so etwas trainieren?
Munier: Natürlich gibt es Menschen, die so etwas grundsätzlich mehr haben als andere. Ich glaube aber schon, dass sich diese Fähigkeit fördern lässt.
Oli: Es gibt Spieler, die als Führungsspieler vorangehen und welche, die als Persönlichkeit eher ruhiger und zurückhaltender sind. Heidenheim-Trainer Frank Schmidt hat vor einigen Jahren gesagt, um zur Ausgangsfrage zurückzukommen, dass es 70 Prozent ausmacht, wie du mit den Spielern umgehst und die Taktik nur 30 Prozent beeinflusst. Du kannst noch so gute taktische Vorgaben machen, wenn es die Spieler am Ende nicht umsetzen wollen. Wenn die Mannschaft nicht für dich durch das Feuer gehen will, bringt das alles nichts.
„Hier spielt für mich auch Leadership wieder eine besondere Rolle. Man muss hart in der Sache sein, aber trotzdem menschlich agieren und Empathie an den Tag legen“

Überwiegt die Mentalität der Taktik?
Munier: Das kann man pauschal nicht beantworten. Ein Gegentor fällt aufgrund von physischem Versagen. Trotzdem hängt es stark von mentalen Aspekten ab. In den Statistiken zeigt sich, dass, nachdem man ein Tor erzielt hat, die nächsten fünf Minuten ebenfalls sehr gefährlich sind. Das ist signifikant, das muss auch mit mentalen Gesichtspunkten zusammenhängen.
Oli: Taktisch sind auf diesem Niveau alle sehr gut eingestellt und geschult, aber ob eine Mannschaft die entsprechende Energie und Teamgeist hat, macht vermutlich den Unterschied. Es muss mit Emotionen zu tun haben, die immer in einem vorhanden sind.
Wie wichtig ist die Art, endgültige Entscheidungen zu kommunizieren?
Munier: Hier spielt für mich auch Leadership wieder eine besondere Rolle. Man muss hart in der Sache sein, aber trotzdem menschlich agieren und Empathie an den Tag legen. Es ist entscheidend, wie du mit den Jungs umgehst und wie du sie anpackst. Sie schätzen es, wenn dabei eine Menschlichkeit vorhanden ist.
Oli: Genau, es geht darum, Menschen für sich und seine Ideen zu gewinnen. Es ist egal, wie viele Videoclips ich ihnen zeige, wenn ich es nicht richtig vermittle. Die Spieler müssen für uns durch das Feuer gehen wollen. Die Zeit hat sich aber auch etwas verändert, egal ob im Fußball, in der Gesellschaft oder in der Wirtschaft. Die Leute müssen etwas mehr in Watte gepackt werden, es kommt noch gezielter auf die Worte und die Botschaft an.
Wie sieht diese Zusammenarbeit im Jahn Trainerteam aus?
Munier: Wir haben eine klare Aufgabenverteilung. Jeder verantwortet seinen Bereich, das hilft uns, dass wir alle mehr im Detail arbeiten können. Philipp Tschauner fokussiert sich auf die Arbeit mit den Keepern und unsere Standardsituationen. Christoph Rezler kümmert sich darum, dass die Spieler alle in einem guten körperlichen Zustand sind. Ich musste mich erst in diesen Prozess einfinden, die Leute kennenlernen und auch sie mussten mich erst kennenlernen. Im Trainerteam haben wir eine große Harmonie und treten den Spielern immer geschlossen gegenüber. Auch Andi Patz hat ein sehr gutes Verhältnis zu den Spielern. Von daher besteht eine sehr gute Basis. Ich versuche auch immer offen für ein Gespräch zu sein, sei es beim Tee, den ich sehr gerne trinke oder am Rande eines Trainings. Die Beziehung zu den Spielern baut sich langsam auf. Ich versuche weiterhin eine positive Energie in die Kabine und auf den Trainingsplatz zu bringen. Was vergangen ist, ist vergangen. Es geht immer um das nächste Spiel und das nächste Training.
Oli: Ich kümmere mich um die Gegner- und Eigenanalyse und versuche die Einzelheiten herauszuarbeiten. Da wir während der Spiele permanent im Austausch sind, versuchen wir den Überblick über die Mannschaftstaktik zu haben. Die Aufgabenverteilung hat sich nach Muniers Ankunft im November sehr schnell eingependelt und er hat sich gut ins Trainerteam integriert. Wir arbeiten insgesamt harmonisch und produktiv zusammen. Viele Details in unserem Aufgabengebiet hängen am Ende vom Trainingsplan ab.
Wie viel Fußball schaut ihr dann noch in eurer Freizeit?
Oli: Ich muss ganz ehrlich sagen: Dadurch, dass ich während der Woche oder in der Vorbereitung auf die Gegner mehrere Spiele gucke, schaue ich mir nicht mehr jedes Spiel an, weil man irgendwann so mit Fußball überfrachtet ist. Die Highlight-Spiele der Champions League lasse ich mir aber nicht entgehen. Die Leidenschaft ist sehr hoch. Ohne diese Leidenschaft oder Besessenheit wirst du keinen Erfolg haben. Dass ich im Fußball arbeiten kann, macht mich immer sehr demütig und glücklich.
Munier: Hier in Regensburg habe ich tatsächlich keinen Fernseher dafür (schmunzelt). Ich schaue generell schon noch viel außerhalb der Arbeitszeit. An Inter Mailand, die einen ähnlichen Spielstil bemühen wie der SSV Jahn, orientiere ich mich gerne und schaue, wie sie gewisse Elemente umsetzen. Ansonsten verfolge ich auch gerne andere Trainingseinheiten und hole mir überall ein bisschen Inspiration. Das hängt natürlich auch davon ab, ob die Teams so spielen wollen, wie wir das tun möchten. So bekomme ich viel neuen Input. Wir arbeiten sehr akribisch und detailliert daran, möglichst erfolgreich zu sein.
Wie verbringt Ihr die Zeit, wenn es gerade nicht um Fußball geht?
Munier: Ich habe eine kleine Tochter, sie ist drei Jahre alt. Die Familie nimmt bei mir einen großen Platz ein. Ansonsten verbringe ich die Zeit gerne mit Lesen. Natürlich beschäftigt einen der Fußball auch immer, aber wenn ich bei der Familie bin, kann ich es zum Glück etwas ausblenden. Meine Frau und meine Tochter haben mich da gut im Griff.
Oli: 80% deckt der Fußball ab. Ich mache immer noch einiges von zu Hause aus. Ich brauche allerdings auch meine Oasen und Zeitfenster, in denen ich runterkommen kann. Am freien Tag gehe ich gerne Kaffee trinken und Kuchen essen, das auch gerne alleine. Im Sommer ist Regensburg perfekt dafür. Außerdem treibe ich viel Sport oder versuche in der Sauna runterzukommen. Wenn ich frei habe, bin ich auch einmal froh, mit niemandem zu tun zu haben.
„Der Glaube kann Berge versetzen. Ich habe immer wieder meine Sprüche (lacht).“
