Felix Gebhardt ist seit Sommer die neue Nummer eins des SSV Jahn. Mit seiner reifen Ausstrahlung und Souveränität leitet er die Defensive der Jahnelf an und glänzt mit tollen Paraden. Damit sicherte der 22-Jährige in dieser Saison den ein oder anderen Punkt. Im ausführlichen Titelinterview gibt der gebürtige Lörracher Einblicke in seine Zeit beim Schweizer Top-Klub FC Basel, seine Nominierung zur U 21-Nationalmannschaft und seinen unermesslichen Ehrgeiz.
Jahnzeit: Gibt es ein Ereignis, an das Du exemplarisch für diese Spielzeit zurückdenkst?
Felix Gebhardt: Mir fällt hier sofort der Mannschaftskreis nach dem Hinspiel gegen den SC Freiburg II ein. Es war kurz nach dem Tod von Agy Diawusie. Dieses Zusammenstehen zeigt, wie wir als Mannschaft funktionieren. Wir sind alle näher aneinander gerückt und zusammengewachsen. Ich bin froh, dass wir uns alle gegenseitig unterstützt haben.
Allgemein zeichnet Euch aus, dass ihr so schnell zusammengewachsen seid. Wie erklärst Du dir das?
Natürlich wurde im Saisonübergang schlicht gut gearbeitet und die richtigen Charaktere verpflichtet. Andererseits war es auch sehr hilfreich, dass wir alle in einem Hotel untergebracht waren. Zusammen waren wir alle Essen oder in der Stadt unterwegs. Wir konnten uns so gut kennenlernen. In der Art habe ich das auch noch nirgends erlebt - es ist etwas Besonderes.
Wie zufrieden Du persönlich mit deiner Leistung in dieser Saison?
Grundsätzlich mag ich es nicht, über mich selbst zu urteilen. Dennoch waren meine Leistungen in Ordnung, würde ich sagen, auch mit meiner Entwicklung kann ich zufrieden sein. Am meisten habe ich mich als Persönlichkeit entwickelt. Ich möchte jeden Tag vorangehen und immer alles geben. Damit versuche ich auch meinen Mitspielern zu helfen.
Woher kommt dieser Ehrgeiz?
Als Kind konnte ich schon nicht verlieren, genauso schlecht kann ich im Fußball verlieren. Das war schon immer so. Der Drang zu gewinnen, war schon immer so ausgeprägt. Auf dem Bolzplatz war es früher immer so, dass die Jüngeren nie mitspielen durften, das musste man sich erst erkämpfen. So habe ich mir meine Rolle immer wieder einfordern und unter Beweis stellen müssen. Mit meinem Cousin bin ich dann eines Tages mit ins Training gegangen, dort hat es mir so viel Spaß gemacht, dass ich dran geblieben bin. Im Tor war der einzige Platz in der Mannschaft frei. So bin ich zum Torwartspiel gekommen.
Du kommst aus Lörrach, das an der Schweizer Grenze liegt. Wie bist Du in den Nachwuchs des FC Basel gekommen?
Während ich noch bei meinem Heimatverein FV Lörrach gespielt habe, war ich immer mittwochs beim SC Freiburg im Training. Dort habe ich auch Noah Atubolu kennengelernt, mit dem ich mich super verstehe. Die Verantwortlichen haben sich aber nie wirklich für mich entschieden. Da es während meiner Schulzeit auch ein enormer Aufwand war, habe ich es beendet. Wenig später hat der FC Basel mit mir Kontakt aufgenommen und mich zum Training eingeladen. Mit dem älteren Jahrgang bin ich dann ins Trainingslager gereist, woraufhin sie sich für mich entschieden haben.
Wie gestaltete sich der Konkurrenzkampf im Leistungszentrum des FC Basel?
Gerade mit dem Schweizer Schulsystem hatte ich einen kleinen Nachteil meinen Mitstreitern gegenüber. Dort gibt es spezielle Sportklassen, die an gewissen Tagen vormittags vom Unterricht freigestellt werden, um zu trainieren. Das hatte ich lange nicht, bis mir mein Schuldirektor das ebenfalls erlaubte. Trotzdem verpasste ich dann vier Stunden Leistungskurs, was ich alles nachholen musste. Das war nicht leicht. Auf der anderen Seite hatte ich nur zweimal pro Woche nachmittags Unterricht und die Schweizer jeden Tag. So hat sich das am Ende doch ausgeglichen. Beim FC Basel hatte ich einen engen Vertrauten Mika Bauch als Torwarttrainer. Er hat mich damals zum FC Basel geholt und bis zu den Profis begleitet. Er hatte immer ein offenes Ohr für mich und ich konnte mit ihm über alles sprechen. Die Ausbildung dort war sehr gut und ich habe viel lernen dürfen.
2021/22 durftest Du mit im Kader der Herren in der Conference League auf der Bank sitzen. Wie hoch ist die Anspannung, als junger Keeper bei einem europäischen Wettbewerb dabei zu sein?
Das ist natürlich ein tolles Gefühl. Am Anfang ist das natürlich sehr aufregend und schön, das alles aufzuschnappen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Irgendwann kennt man auch hier die ganzen Abläufe und es verliert in gewisser Hinsicht an Aufregung. Ganz gewöhnlich wird es allerdings nie.
Hast Du spezielle Abläufe, die Du am Spieltag machst?
Ja, am Spieltag habe ich meine Routinen, die ich immer einhalte. Die will ich aber nicht verraten (schmunzelt). Teils beginnen die Abläufe schon im Hotel. Angefangen habe ich das zu meiner Zeit beim Halleschen FC, als ich Stammkeeper wurde. Die Routinen geben mir ein gutes Gefühl. Ein Ritual kann ich verraten. Ich trage normalerweise Armbänder und meinen Ehering. Vor dem Spiel zieh ich sie vor meinem Ehering aus, wenn ich meine Handgelenke tape. Sie hängen dann in jeder Kabine am immer gleichen Ort. Der Ehering kommt dann als letztes runter. Ein Armband ist ein Nazar-Amulett, also ein Auge, das böse Blicke abhalten soll.
Du bist seit dem 28.05.2022 mit deiner Frau Caroline verheiratet. Was bedeutet dir deine Ehe?
Unendlich viel. Ich bin meiner Frau dankbar für alles. Ich habe ihr sicherlich die ein oder anderen Nerven gekostet. Sie ist immer für mich da, egal ob ich gewinne oder verliere. Sie ist bei mir, weil ich Felix bin. Mit ihr kann ich zuhause immer abschalten und entspannen.
Hat einen positiven Umgang mit Druck gefunden
2021 bist Du dann auf Leihbasis in die 3. Liga zum Halleschen FC gewechselt. Was waren die Motive für deinen Wechsel?
In Basel habe ich mich von der Nummer Drei zur Nummer Zwei hochgearbeitet, eine Leihe habe ich im ersten Jahr abgelehnt. Im folgenden Jahr wollte ich aber zu meiner Spielzeit kommen. Das ist besonders für junge Torhüter extrem wichtig. Ich wollte einfach selbst auf dem Platz stehen. Über meine Zeit in der Junioren-Nationalmannschaft kam der Kontakt zum HFC zustande. Tim Schreiber, der jetzige Keeper des 1. FC Saarbrücken hat mir den Halleschen FC, wo er zuvor gespielt hat, empfohlen. Mit ihm habe ich mich immer gut verstanden. Am Ende durfte ich in Halle tolle Leute kennenlernen. In meinen Rucksack durfte ich viele prägende Erfahrungen packen. Es war insgesamt eine sehr prägende Zeit. Nach der Winterpause waren wir Tabellenletzter und haben sieben Gegentore gegen Dynamo Dresden kassiert. Am Ende konnten wir uns aus dem Keller herauskämpfen und den Klassenerhalt feiern. Das zeigt, dass im Fußball alles möglich ist. Das sind Erfahrungen fürs Leben.
Wie bist Du mit dieser Drucksituation umgegangen?
Man darf sich nicht zu viele Gedanken machen, was andere Leute sagen und schreiben. Am Ende stehst du auf dem Platz und weißt, wie der Fußball funktioniert. Zu sehr darf man sich auf all die Kommentare einlassen, sonst macht man sich selbst verrückt. Die Meinungen vom Trainerteam und von Philipp Tschauner bedeuten mir eine Menge. Von ihnen bekomme ich wichtige Impulse und hilfreiche Tipps. Auch wenn ein Spiel mal nicht wie erhofft läuft, muss man es zwar ausführlich analysieren und besprechen, aber irgendwann auch abhaken, ändern kann man es nicht mehr.
Viele sehen bei Torhütern nur die groben Schnitzer. Wie detailliert ist das Torwartspiel aus deiner Sicht?
Es ist eine unfassbare Detailarbeit, die nur die wenigsten erkennen. Welche Position muss ich einnehmen, wie hoch darf ich rausschieben, wann ist der richtige Zeitpunkt um aus dem Tor zu kommen, welchen Rhythmus braucht die Mannschaft, das sind alles Fragen, die hinreichend beantwortet werden müssen und das in kürzester Zeit. Außerdem ist Kommunikation und Coaching unglaublich wichtig, um Torchancen gar nicht entstehen zu lassen. Dadurch, dass ich das ganze Feld vor mir habe, sehe ich Lücken und Abstände, die meine Mitspieler in ihrer Position nicht wahrnehmen können. Da gibt es unzählige weitere Beispiele. Eine sehr schwere Aufgabe.
Als fußballerisch gut ausgebildeter Torhüter löst Du auch viele Situationen mit dem Fuß auf. Woher kommen diese Qualitäten?
Ich lege da schon immer großen Wert darauf. In meiner Kindheit habe ich viel Zeit auf dem Bolzplatz verbracht oder auch alleine auf der Straße gespielt. Ich habe oft jongliert oder mir Tricks beigebracht. In Basel hat sich das gut ergänzt, dass wir in der Jugend einen spielerischen Ansatz verfolgt haben. Als Torhüter warst Du aktiv ins Aufbauspiel eingebunden. Es hat sich im Verlauf meiner Karriere herauskristallisiert, dass ich das kann und können möchte. Seitdem bin ich so und forciere ich das auch. Dem ein oder anderen Fan koste ich damit sicherlich ein graues Haar, aber das nehme ich dann in Kauf. In jeder Situation will ich eine gewisse Souveränität ausstrahlen, um der Mannschaft diese Sicherheit zu geben.
Sind das Dinge, die das Trainerteam von Dir einfordern?
Joe Enochs und Philipp Tschauner kennen mich mittlerweile gut genug, sodass sie wissen, dass ich nicht unnötig ins Risiko gehe. Beispielsweise nenne ich dabei gerne, die letzte Konteraktion gegen den TSV 1860 als Nankishi alleine auf mich zu läuft. Ich gehe volles Risiko, sprinte aus dem Tor und kläre den Ball am Ende vor ihm. Wenn diese Entscheidung getroffen ist, muss ich sie mit voller Überzeugung zu Ende spielen. Entweder es klappt oder eben nicht. Sie geben mir viele Dinge mit an die Hand, die ich versuche umzusetzen.
Wie nimmst Du die Stimmung im Torwart-Trio wahr?
Wir verstehen uns untereinander richtig gut und gehen gerne zusammen einen Kaffee trinken nach dem Training. Dieses Konkurrenzdenken findet auf diesem Niveau nicht mehr statt. Das kommt eher im Nachwuchs vor. Natürlich wollen alle spielen und der Konkurrenzkampf ist da, allerdings unterstützen wir uns immer wo es nur geht. Während meiner Verletzung habe ich Alex Weidinger ihm ein gutes Spiel gewünscht und ihm die Daumen gedrückt. Er hat mich gut vertreten.
Nach der Leihe bist Du der Liga erhalten geblieben. Was hat für den SSV Jahn gesprochen?
Vom FC Basel habe ich nach dem Ende meiner Leihe nicht wirklich Konkretes gehört und wollte zudem in Deutschland bleiben. Ich habe das früh kommuniziert. So kam es dann zu dem Wechsel zum SSV Jahn. Darüber bin ich sehr froh, es war das Beste, was mir passieren hätte können. Die Voraussetzungen hier sind toll und auf einem sehr hohen Niveau. Das war auch ein ausschlaggebender Punkt, warum ich mich für den SSV Jahn entschieden habe. Die Gespräche mit Achim Beierlorzer und Joe Enochs haben mich zusätzlich positiv gestimmt und ich hatte große Lust nach Regensburg zu kommen. Ich bin froh, Teil des Umbruchs hier gewesen zu sein. Hier möchte ich jeden Tag das Maximum aus mir herausholen.
Woher ziehst Du die Motivation, das Tag für Tag zu tun?
Eine richtige Motivation gibt es nicht, ich mache es einfach. Natürlich gibt es auch Tage, an denen man Durchhänger hat, gerade die letzte Woche war hart mit der Niederlage gegen Freiburg. Es hilft mir aber auch nicht, mir lange den Kopf zu zerbrechen, sondern ich muss weitermachen und alles daran setzen, dass es nicht wieder passiert. Das ist meine Devise.
Welche Dinge helfen Dir, dich von diesem Anspruch zuhause zu erholen?
Ich spiele mittlerweile wahnsinnig geren Darts. Die Scheibe war eigentlich für das Gästezimmer gedacht. Mittlerweile hängt sie im Wohnzimmer und ich werfe täglich. Außerdem spielt natürlich meine Frau eine große Rolle. Wir fühlen uns wirklich sehr wohl in der Stadt, auch wenn wir gerne zuhause sind, unternehmen wir auch viel. Die Lebensqualität ist hier sehr hoch.
Bist Du im Privatleben auch so laut wie auf dem Fußballplatz?
Nein, im Gegenteil. Ich bin sehr ruhig und lebe zurückgezogen. Ich mache manchmal zu gerne mein eigenes Ding und beschäftige mich mit vielen anderen Dingen, ich lese auch sehr gerne. Ich befasse mich gerne damit, was außerhalb des Fußballs in der Welt passiert. Politik und Wirtschaft interessieren mich. Im Privaten bin ich wirklich deutlich ruhiger.
Gibt es auf dem Platz einen Torhüter, an dem Du dich orientierst?
Weniger tatsächlich. Klar habe ich auch meine Vorbilder mit Manuel Neuer oder Marc-Andre ter Stegen, aber am Ende möchte ich ich selbst sein und keine Kopie eines anderen. Jeder Mensch ist individuell und jeder hat seine Stärken und Schwächen. Trotzdem kann man sich natürlich von dem ein oder anderen etwas abschauen - auch aus anderen Sportarten. Bei der Mentalität musste ich mir nie etwas abschauen, weil ich schon als Kind sehr ehrgeizig war, leider.
Warum verwendest Du in diesem Zusammenhang “leider”?
Ich selbst hadere mit meinem Ehrgeiz eher weniger. Es betrifft eher die Leute in meinem Umfeld, die mich eng begleiten. Die müssen sich bestimmt manchmal denken: “Was ist mit dem Typ los?". Manchmal gehe ich sehr hart mit mir ins Gericht, mittlerweile habe ich das aber auch abgestellt. An manchen Tagen mache ich mir aber immer noch sehr viele Gedanken darüber, was besser hätte sein können. Ich habe einen positiven Umgang mit meinem Ehrgeiz gefunden.
Gibt es auf dem Profi-Niveau noch Unterschiede im Bereich Ehrgeiz?
Ich würde schon sagen. Wenn man hier etwas selbstzufriedener wird, kann es schneller passieren, stehen zu bleiben. Das Maximum zu wollen und davon zu träumen, bringt dich am Ende weiter, ganz gleich, ob das Maximum am Ende auch tatsächlich erreicht wird. Im Endeffekt kommst du damit weiter. Am Ende sind alle Profis sehr ehrgeizig, ohne welchen sie nicht auf diesem Niveau gelandet wären. Ehrgeiz braucht aber auch eine gesunde Balance.
Dieser Ehrgeiz hat dich in die U21-Nationalmannschaft geführt. Wie war es?
Es ist natürlich etwas ganz Besonderes. Man ist ein Team von der A-Nationalmannschaft entfernt. Es ist ein sehr professionelles Umfeld, seien es die Abläufe oder die Spieler. Es ist unfassbar. Ich bin immer froh, dabei zu sein. Es wird in gewisser Hinsicht auch ein anderer Fußball gespielt, der der Ausrichtung der A-Nationalmannschaft sehr ähnelt. Die Mitspieler sind teils gestandene Bundesliga-Profis oder Unterschiedsspieler in der 2. Bundesliga. Es ist ein sehr hohes Niveau in jeder Trainingseinheit zu erkennen. Die meisten kenne ich schon Jahre lang. Immer wieder toll dabei zu sein.
Wie hast Du die Professionalität konkret wahrgenommen?
Es fängt damit an, dass man tagtäglich drei Physiotherapeuten dabei hat, die immer für dich zur Verfügung stehen. Die Trainingsmöglichkeiten sind ebenfalls hervorragend. Es ist immer jemand da und es wird sich immer um einen gekümmert. Ein Beispiel war aber auch die Länderspielreise im Oktober, als kurz nach dem Angriff der Hamas auf Israel unser Spiel kurzfristig abgesagt wurde. Wir waren am Freitag in der EM-Qualifikation in Bulgarien und hätten am Sonntag die Partie in Israel gehabt, sodass ich normalerweise das Heimspiel gegen den VfB Lübeck (2:1) verpasst hätte. Ich wusste um meine Rolle als dritter Torhüter hinter Jonas Urbig und Noah Atubolu. Deshalb habe ich die Verantwortlichen gefragt, ob es möglich wäre, nach dem Länderspiel direkt abzureisen. Darum wurde sich gleich gekümmert und ich konnte am Samstagvormittag rechtzeitig in München landen. Allgemein ermöglichen sie mir oft auch etwas früher abzureisen, um für den SSV Jahn schnellstmöglich wieder im Training zu sein. Es läuft alles sehr professionell ab.
Was ist für den Sommer geplant?
Für den Kopf ist es wichtig, abschalten zu können. Nach all den Anstrengungen freue ich mich schon ein wenig auf etwas Zeit zum Entspannen, hoffentlich mit einem positiven Resultat. Der Urlaub ist gebucht.
Das vollständige Interview lest Ihr in der multimedialen Ausgabe der Jahnzeit. Dort findet Ihr viele weitere spannende Inhalte rund um den SSV Jahn. Hier gehts lang.